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201 - Die Rachegöttin

201 - Die Rachegöttin

Titel: 201 - Die Rachegöttin
Autoren: Michelle Stern
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Seine Verletzungen heilten gut.
    Herak sah zu der schlanken Frau mit den grüngrauen Augen hinüber. Er verstand sie nicht, aber er liebte sie. Sie war so viel klüger als er, sprach ständig von irgendwelchen Schriften und wundersamen Dingen. Er hingegen sah ein Wunder, wenn er sie betrachtete. Ihren Gang, ihr Lächeln, ihre sanfte Unnachgiebigkeit.
    Seit einem Mond verbarg sie ihn nun vor ihren Leuten.
    Einen Mond lang versorgte und pflegte sie ihn. Er wusste, bald kam die Zeit des Abschieds. Am liebsten wäre er geblieben.
    Selbst Mariis Folter schreckte ihn nicht mehr. Er griff nach Tatjenas Hand. »Komm mit mir. Du kannst bei uns leben. Die Adoors werden dir nichts tun. Ich habe die Führung übernommen. Sie sind bereit, Frieden zu schließen.«
    »Marii wird das niemals dulden.« Tatjenas Stimme klang traurig. »Außerdem werde ich hier gebraucht. Ich bin die Heilfrau der Perons. Ich will sie nicht verlassen, Herak.«
    Er zog sie an sich. »Es war ein Traum, Tatjena.«
    »Du musst gehen. Jeden Tag wird es schwieriger, dich noch zu verbergen. Ich halte die Angst nicht mehr aus. Geh. Irgendwohin, wo du sicher bist. Weit fort von Marii.«
    »Ich werde gehen.« Herak löste sich von ihr. »Ich habe das hier für dich gemacht.« Er zog zwischen den Grashalmen eine rötliche Kette hervor. Mehrere rote Lederbänder hielten eine kleine Figur aus geschnitztem Holz, die Statuette einer Frau.
    »Das ist Piama, deine Göttin.«
    Tatjena streckte die Hand nach der Kette aus. Es machte ihn glücklich, die Freude auf ihrem Gesicht zu sehen.
    »Danke«, flüsterte sie. »Ich werde sie niemals ablegen. Sie wird mich immer an dich erinnern.«
    Er legte ihr die Kette um den Hals. »Ich werde dich besuchen kommen.«
    »Das ist zu gefährlich. Lebe lieber. Nimm dir eine andere und…«
    Er zog sie an sich. Seine Lippen verschlossen ihren Mund.
    Vorsichtig löste er sich von ihr und strich eine der braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Vielleicht nehme ich mir eines Tages eine andere. Aber ganz gleich, was die Zukunft bringt… du kannst jederzeit zu mir kommen. Wenn Marii von deinem Verrat erfährt, dann flieh.«
    »Wie sollte sie davon erfahren?« Tatjena berührte die Kette an ihrem Hals. Sie schluckte.
    Herak legte die Hand auf ihren Bauch. »Ich mag nicht so klug sein wie du, Tatjena, aber ein paar Dinge sind so einfach, dass selbst ich sie verstehe. Versprich mir, zu mir zu kommen, falls du mein Kind unter dem Herzen trägst. Ich habe in Mariis Geist gesehen. Er ist zerrüttet und verfallen. Die Dämonen hausen in ihr. Sie darf dir nichts antun.«
    »Ich verspreche es.«
    ***
    Airin hatte den Jungen in die Arresthöhle gesperrt und den Eingang bewachen lassen. Eigentlich wollte sie zu Marii gehen. Sie musste zu Marii gehen. Der Angriff konnte kein Zufall gewesen sein. Ausgerechnet an diesem Abend hatte Kiras ihr gesagt, es würde sich bald etwas ändern – und nun das: ein Kind, das geschickt worden war, Marii umzubringen.
    Aber wie war der Junge ohne Hilfe in das Lager gekommen?
    Kiras hatte Anhänger, die wie er Verhandlungen mit den Adoors wünschten. Hatten er oder seine Leute den Jungen hereingebracht? Airin vermutete es. Sie musste Marii von ihrem Verdacht berichten. Aber die Gedanken in ihrem Kopf kamen einfach nicht zur Ruhe. Unschlüssig blieb Airin nahe bei einer Fackel stehen.
    Kiras wollte den Frieden, wie Maddrax. Ob er sich bereits mit Herak verbündet hatte? Airin verstand nicht viel von irgendwelchen Schriften. Das Lesen ermüdete sie. Aber sie war nicht vollkommen naiv. War Kiras ein Verräter? War er bereit, so weit zu gehen? Die eigene Mutter zu töten, nur um… Ja, was hatte er vor? Wollte er als neuer Herrscher Frieden schließen? Airin war verwirrt und durcheinander.
    Und wenn ich tue, was Kiras gesagt hat? Die Chance, ungesehen in Mariis Lager zu gelangen, war selten. Die Uneskaa war noch immer im Zelt der Heilfrau, der Gang war unbewacht.
    Airin zögerte nur kurz. Mit raschen Schritten erreichte sie Mariis Lager. Sie wusste, wo die Schriften lagen. Einige hatte sie sogar einsehen dürfen, obwohl sie keine Uneska war. Ein Uneska musste mindestens zwei Stunden pro Tag beten, das hielt Airin nicht durch. Bereits im Alter von neun Jahren wurde entschieden, ob ein Kind die Gelegenheit erhielt, sich als Uneska zu behaupten. Dafür musste man gut lesen können, so forderte es die Göttin: Im Lesen betete man zu ihr.
    Airin beherrschte das Lesen nur langsam und schwerfällig.
    Ihr Herz klopfte bis zum
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