2.01 Donnerschlag
seelenruhig unsere Ankunft. Die Wölfe wirkten so cool in ihren gepanzerten Trikots, und wir keuchten und schwitzten. Ja, und das Keuchen war neben dem Pochen des Blutes hinter unseren glühenden Schläfen auch das einzige Geräusch, das wir hörten, nachdem April uns lässig begrüßte:
„Schön, dass ihr da seid!“, lächelte das Mädchen durch das mit Reißzähnen bewehrte Visier ihres Helms hindurch. „Ich weiß, wie schwierig das ist, wenn man sich noch in dem Alter befindet, in dem man, wenn’s dunkel wird, zuhause sein muss.“ Sie grinste gerissen. „Und wenn man noch so was wie Hausarrest kriegt.“ Sie fixierte jetzt mich, und mich machte das wütend. Trotz meiner Angst oder vielleicht gerade deshalb. Ich brauchte jetzt einfach eine Portion Wut.
„Das stimmt!“, trotzte ich. „Aber das solltest du meiner Mutter erzählen. Ich bin nämlich hier, und auch wenn ich nur halb so alt bin wie du, bin ich gekommen, um dich zu besiegen.“
„Hey!“, raunte April. „Der Kerl ist gar nicht so übel. Klette, was ist, gefällt er dir auch?“
„Und ob er das tut!“, lachte die jüngste der Wölfe und warf mir einen Blick zu, der mich wie einen Heuballen auflodern ließ, der cool wie ein Blindfisch durch einen Vulkan springen will. „Doch nutzt ihm das nichts. Er wird heut’ verlieren. Denn kein Mut ist was wert, wenn das Herz nicht da ist!“
„Wie bitte? Was?!“ Obwohl ich nicht wusste, was sie damit meinte, wurde mir abwechselnd heiß und kalt. Ich sah den Schrecken in den Gesichtern der anderen. Besonders Vanessa wurde jetzt bleich.
„Was meinst du damit?!“, zischte ich zitternd und heiser, und April, die ihren Falken liebkoste, zuckte die Achseln.
„Oh, sie meint nur, dass einer von euch noch fehlt. Marlon, glaub’ ich, die Nummer 10. Die Intuition. Das Herz eurer Mannschaft. So nennt ihr ihn doch. Aber ich kann ihn nicht sehen.“
„Herzstillstand-gecrashte-Haupteisschlagader!“
Ich konnte nicht sagen, ob ich das wirklich gesagt hatte, oder ob dieses Wort nur in meinem Kopf herumsirrte. Knisternd und krachend und ihn dabei von innen vereiste, bis mir schlecht und schwindelig wurde. Ja, Marlon war weg! Und wir, wir tauben Nüsse, hatten es verflucht noch mal gar nicht bemerkt. Marlon war weg! Er war nicht da! Er war nicht zu meiner Befreiung gekommen. Er war nicht mit uns im Pulk gefahren, und ich dachte sofort an den Baum vor dem Haus. Dem Haus von Marlons und Leons Vater.
Herzstillstand-gecrashte-Haupteisschlagader!
Ich dachte an April, die vor Marlons Fenster in diesem Baum gesessen hatte. Und ich ballte die Fäuste. Ich stieß mich vom Subwoofer ab. Ich wollte mich auf das Wolfsmädchen stürzen, da sah ich Vanessas Lachen. Es kam aus den Augen, den fast schwarzen Augen, und es sprang aus ihnen auf ihr Gesicht, wo es wie Sonnenlicht um die Mundwinkel tanzte.
„Ich bin doch schon da!“, hörte ich seine Stimme, und dann sah ich ihn: Jaah! Er kam aus dem Rücken der Wolfsformation und fuhr auf seinem BMX-Motocross-Fahrrad mit dem Tank der alten Triumph ganz ruhig und ganz lässig durch sie hindurch.
„Ich war schon da, bevor ihr hier wart“, sagte er ruhig, hielt neben April und schaute ihr dabei ganz tief in die Augen. Vanessa stutzte und spannte die Muskeln. Da grinste die Nummer 10 das Wolfsmädchen an.
„Und ich wünsch euch viel Glück und vor allem viel Mut. Ja, denn Mut, den könnt ihr wirklich gebrauchen!“ Er schaute zu mir und lächelte strahlend. „Worauf wartest du, Nerv?!“
„Ja, worauf wartest du, Nerv?!“, lachte Vanessa wieder erleichtert.
„Bring uns nach Donnerschlag !“, lachte auch Leon, und ich hob die Faust. Die Faust, die vom Licht des Schlüsselanhängers jetzt lavarot glühte.
„Raaah!“, rief ich, „Raaah!“
Die Kerle traten in ihre Pedale. Die Wölfe bellten und stießen Wolfsschreie aus. April fixierte Marlon mit einem bewundernden, verwegenen, die Herausforderung annehmenden, zornigen Blick, den dieser – verflucht – genauso erwiderte. Dann röhrten die Quads, und auf den den Waldboden aufwirbelnden Stollenreifen jagten sie neben uns über den Kamm. April ließ ihren Falken fliegen und der hielt den Schlüsselanhänger im Schnabel.
„Auf nach Donnerschlag !“, rief sie tollkühn und dann jagte sie neben mir und Juli als Erste durchs Tor.
Ich sah die beiden mächtigen Stämme. Ich hob meinen Blick. Ich sah, wie sie sich über uns zu einer Krone vereinten. Ich sah die untergehende Sonne, die gerade verschwand. Dann wurde es
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