2010 - Morkheros Prophet
Rilblättern. Gleich darauf vernahm er um sich das typische Fortbewegungsgeräusch der Tiver: das rasch aufeinanderfolgende Tapsen ihrer Krallenbeine und das raschelnde Gleiten ihrer schlängelnden Körper durch das Unterholz. Er zählte fünfzehn Tiver, aber es konnten auch mehr sein.
Als die Horde verschwunden war, spürte er eine ganze Weile nur das von Schmerzen getriebene Beben von Gondes Körper unter sich, aber er wollte das Versteck nicht so rasch verlassen, sondern einige Zeit abwarten, um ganz sicherzugehen.
Und tatsächlich! Nicht viel später kamen die Tiver zurück und durchforschten schnüffelnd die Gegend nach der verlorenen Beute. Kellmi glaubte sein Ende gekommen, als ein Tiver geradewegs über ihm auf tauchte. Die Bestie war ihm so nahe, daß er ihren stinkenden Atem riechen konnte.
Aber die Rilblätter schreckten den Tiver ab, und er suchte das Weite.
Kellmi kannte die Wirkung des Ril, er verspürte es am eigenen Leibe. Die Blätter sonderten eine stinkende Flüssigkeit ab, die ihm bis unter die Körperschuppen drang und einen schmerzhaften Juckreiz verursachte. Dennoch harrte er aus, bis er ganz sicher sein konnte, daß die Tiver außer Reichweite waren.
Dann erst kroch er aus dem Versteck, holte Gonde heraus und befreite ihn von den Fesseln. Gonde, der bis zu diesem Moment nur durch die Gehöröffnungen hatte atmen können, sog nun die Luft gierig durch beide Rüssel ein. „Danke, Kellmi", sagte er dann unter röchelnden Atemgeräuschen. „Du hast mir das Leben gerettet."
„Es ist noch nicht überstanden", sagte Kellmi barsch; er konnte Rührseligkeit nicht ausstehen.
Gonde stützend, wandte er sich in die Richtung, die die anderen Jäger eingeschlagen hatten. Sie erreichten sie ohne weitere Zwischenfälle, als sich Yuna-Curn bereits violett zu verfärben begann und das Dach des Dschungels zu berühren schien.
Als Ewoschno Kellmi erblickte, stürzte er auf ihn zu und herrschte ihn an. „Du hättest uns mit deinem Leichtsinn alle ins Verderben stürzen können!"
Kellmi hätte am liebsten einen Knoten in Ewoschnos Rüssel gemacht, um ihn zum Schweigen zu bringen, Aber er blieb ganz ruhig. „Ich habe mich um Gonde gekümmert", sagte er. „Einer mußte es ja tun. Und so ganz nebenbei habe ich die Tiver von eurer Fährte abgelenkt."
Das sahen auch die anderen Jäger so, und das brachte Ewoschno zum Verstummen.
Ewoschno dankte Kellmi seine Aufopferung, indem er ihn für die erste Nachtwache einteilte.
Kellmi nahm es ohne Groll hin, denn er war ohnehin viel zu aufgewühlt, um Schlaf finden zu können. Er dachte zuviel, und das war nicht gut für einen Jäger. Wahrscheinlich stellte sich Ewoschno nur deswegen gegen ihn, weil er sich zu klug gab.
Doch Kellmi konnte nicht anders. Hätte er sich dumm stellen sollen? Das lag nicht in seiner Natur.
Er dachte viel, und so redete er auch. Er war ein denkendes Wesen, und er mußte seine Gedanken aussprechen. Nicht alle, das hätte seine Jagdkameraden wohl überfordert. Kellmi behielt ohnehin das meiste für sich, was ihm durch den Kopf ging. Aber ganz stumm konnte er nun mal nicht bleiben, sonst wäre er daran erstickt.
Kellmi setzte sich auf die Hinterbeine, die Vorderbeine leicht gespreizt, und blickte zum glitzernden Nachthimmel empor. Er fragte sich, was die Sterne wohl waren. Wegweiser der Götter, um den Jägern den richtigen Pf ad zu leuchten?
Moshosika gab im Schlaf ein Magenknurren von sich und riß Kellmi damit aus seiner Betrachtung des Nachthimmels. Das Geräusch erinnerte ihn daran, daß bald wieder Shruum war. Er blickte zur Kravve hinüber und sah, wie Loscho sich an sie kuschelte und mit den Rüsseln ihre fast leere und darum faltige Wamme massierte.
Loscho war ein guter Kravventreiber, er hätte sein Leben für Moshosika gegeben. Noch war sie nur Nährmutter, die die Jäger fütterte. Aber bald würde sie die Mutter ihrer Kinder werden. Zu Shruum, wenn der neue Lebenszyklus begann.
Das war auch so ein Gedanke, der Kellmi bewegte und sonst wohl kaum einen Kraverker: Was hatte Loscho und jeder andere Kravventreiber, das er nicht hatte? Er konnte zu diesem Zeitpunkt an Shruum denken, und nichts regte sich bei ihm. Er dachte an die Kravve, und er hatte dabei kein anderes Bedürfnis als Hunger.
Loscho dagegen sah Moshosika mit ganz anderen Augen. Er empfand ganz anders für sie, zu jeder Jahreszeit; ob nun Shruum war oder nicht, er liebte Moshosika auch außerhalb der Paarungszeit.
Für diese Gabe, jemanden um seiner selbst
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