2012 – Das Ende aller Zeiten
der Schule auch nur ein bisschen von den anderen akzeptiert worden, statt immer nur die kleine, wie ein wunder Daumen hervorstechende rothäutige Streberleiche zu sein …
»W ir befinden uns nun auf der ersten Zuschauerebene« , sagte Mary Poppins.
»Entschuldigen Sie, ich versuche die ganze Zeit, es abzustellen«, sagte der Mietbulle, der auf dem Kontrollbildschirm herumtippte. Ein paar Sekunden lang glaubte ich zu sehen, dass eine der Funktionen AUTOMATISCHE AUFZUGREINIGUNG lautete.
»Nach Fertigstellung wird die Belize-Hyperbowl mehr als 185000 Fans Platz bieten, was sie zur drittgrößten Publikumssportanlage der Welt macht.« Das nenne ich Fortschritt, dachte ich. Wenn man es so groß baut, kommen auch so viele Zuschauer. Außer natürlich, wir zeigen Waterworld .
»Also aufgepasst«, sagte Marena. »Sie wissen, dass Sie in Elder Lindsays Gegenwart keine Schimpfwörter benutzen dürfen, ja?«
»Aber sicher«, sagte ich. Und aus dem Munde von Miss Cloakamaul nehme ich das besonders ernst. »Wissen Sie, ich bin unter solchen Leuten aufgewachsen. Unter Heiligen der Letzten Tage, meine ich.«
»Er hat ein bisschen was von einem Missionar, wissen Sie«, sagte Marena. »Als er noch Erzdiakon war, hat er angeblich mehr Menschen bekehrt als irgendjemand zuvor.«
»Toll.« Ich bekam das Gefühl, dieses Treffen könnte ein bisschen entscheidender sein, als sie bisher verraten hatte.
»W ir sind nun auf Ebene vierzehn« , sagte die Königin der Fahrstuhlmusik, als wir tatsächlich Ebene dreizehn erreichten, oder, nach einem anderen System, Bolgia eins. »W illkommen in der VVIP SkyBox.«
Schleichend hielten wir an. Eine Pause folgte, gefolgt von einer längeren Pause. Schließlich erklang ein synthetischer a-Moll-Ton, und die nördliche Wand des Kastens fuhr mit einem mächtig zurückgenommenen und wahrscheinlich überflüssigen Zischen auf.
Der Rest des ringförmigen Gebäudes befand sich noch im letzten Bauabschnitt, aber der Raum, in den wir kamen, ausgeführt in Messing und hellem Holz wie die Presseloge auf einer klassischen Rennbahn aus den Dreißigerjahren, eignete sich bereits für das Titelbild von Innenarchitektur heute . Links von uns blickte man durch eine fugenlose Glaswand aufs Feld, und die zurückweichenden Ringe von Zehntausenden leerer grüner Sitze erzeugten ein Schwindelgefühl, das in mir den Wunsch weckte, mich durch das kugelfeste Perspex zu stürzen und bis zur end zone hinunterrollen zu lassen. Unterhalb des Fensters verlief auf ganzer Länge des Raumes ein angewinkelter Schreibtisch mit einem einzelnen langen Plasma-Touchscreen darauf, auf dem wenigstens fünfzig Fenster Streaming-Inhalte zeigten: Aktien, Optionen, Footballspiele, Überwachungskameras, Baustellen an anderen Teilen des Geländes, Good Morning America , ein Miss-Universe-Sonderspektakel und eine Übertragung von einer der Unruhen in Indien, die sich aus derjenigen entwickelt hatte, für die ich in Taros Abteilung regionweites Chaos prognostiziert hatte. Eines der Fenster hatte Lautsprecher, und Anne-Marie Quasselstripps Stimme sprudelte hervor: »Orlando. Das Nachspiel. Eine Stadt sucht nach einem Sinn.«
Im Raum war niemand. Es war einer dieser eigenartigen Augenblicke, wo man glaubt, im Limbus zu sein. Marena schwebte zum anderen Ende. Ich folgte. Der
Aufzugbulle blieb am Lift stehen. Hinter ihm schlossen sich die Fahrstuhltüren langsam und stoppten, wie solche Türen es tun, ehe sie ganz zufuhren; dann
saugten sie sich mit Unterdruck aneinander fest und bildeten eine luftdichte Verbindung.
Ich sah von dem Fenster weg und versuchte, mich auf die Regale zu konzentrieren. Wow, dachte ich. Ich hatte mir Lindsay Warren wie einen Bond-Schurken mit Maiskolbenpfeife vorgestellt. Allerdings hatten zumindest in den Filmen, an denen Ken Adams mitarbeitete, die Bond-Schurken guten Geschmack. Dr. No besaß einen Goya, in Scalamangas Diele hing eine gelbe Jademaske aus Teotihuacán – aber Lindsay schlug sie alle. Zum größten Teil bestand sein Büro aus Sporterinnerungsstücken, signierten Football-Bällen, Hurlingstöcken, Trikots, Baseballschlägern und Pucks. Ich entdeckte ein Paar kleine brüchige braune Boxhandschuhe, die mit »Jack Dempsey« signiert waren, sowieein gerahmtes Foto des berühmten »Long Count« beim Schwergewichts- WM -Kampf zwischen Dempsey und Tunney 1927, als Dempsey zu Boden ging, der Ringrichter aber erst nach sieben Sekunden zu zählen begann. An der Wand war eine kleine Tafel, auf der stand,
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