2012 – Das Ende aller Zeiten
abzunehmen. Ich trug die gleiche Jacke, die ich während des Anschlags getragen hatte, auch wenn sie in der Wäscherei des Stakes trockengereinigt worden war, und hatte sogar einen Schlips an, eine antike Begräbniskrawatte von J. C. Penny, den ich mir von der Familie von HLT geliehen hatte, die nebenan wohnte, also sah ich halbwegs respektabel aus. Diesen Leuten erschien ich wahrscheinlich trotzdem wie der Frito Bandito.
Marena leitete mich zu der Gruppe und stellte mich Glatzkopf als Erstem vor. Sein Name war Elder Snow, und seine Haarlosigkeit ging so weit, dass ihm auch Augenbrauen und Wimpern fehlten. Ich war nicht mal sicher, ob er Fingernägel hatte. Er umfasste meine Hand mit einem Griff, der ziemlich kräftig war – für ein Gespenst. Der Nächste war um die sechzig und hieß Ezra Hatch. Er hatte den schauderhaften Helm aus silbernem Haar und trug eine Art Palm-Beach-Sportjacke und dazu passende Hosen. Und darunter wahrscheinlich Jesuslatschen. Er packte meine Hand, als wären wir alte Zimmergenossen von der Handelsschule. Der Typ mit dem Ziegenbärtchen hieß Orson Soundso. Er trug ein Sweatshirt von Warren. Alle waren ziemlich freundlich. Moment, formulieren wir es etwas genauer: Man spürte, dass ihre normale Haltung die übliche übermäßig vertrauliche Jovialität war, die in den USA an die Stelle von Manieren getreten ist, jedoch gedämpft von den jüngsten Ereignissen. Wir waren noch immer in der schwierigen Periode nach einem schweren Unglück, wo von jedem erwartet wird, dass er mitfühlend und ernst ist, sich aber partout nicht so fühlen möchte.
Lindsay Warren war der Kerl mit dem hellbraunen Flaumkopf, derjenige, der gesprochen hatte. Er erwies sich außerdem als der größte der vier Typen. Er machte drei Schritte auf uns zu und hinkte übel dabei – ich hätte fünf zu eins gewettet, dass es eine Football-Verletzung war. So etwas war ein fast schon zwingend erforderliches Merkmal für Geschäftsleute in den mittleren Jahren aus Utah. Bummeln Sie am Sonntag mal ein paar Blocks weit die Temple Street entlang, und ich garantiere, dass wenigstens drei noch nicht allzu alte Long John Silvers auf ihrem Weg zur Erlösung an Ihnen vorbeihumpeln. Er truggrüne Turnschuhe von Warren und einen UNICEF -Trainingsanzug, bedruckt mit bunten Zeichnungen von Kindern aus vielen Ländern. Um sein Bild abzurunden, hätte er nur noch orangefarbene Haare und eine Tomatennase gebraucht. Er hatte eines dieser wettergegerbten, markanten, gut aussehenden angelsächsischen Gesichter mit Fältchen über den Augenhöhlen, die wie zweifache Ritzungen des Delicate Arch National Monument aussahen. War er um die fünfzig? Färbte er sein Flaumhaar? Er fixierte mich mit einem Blick wie vom Alten Seemann in der Ballade und bedachte mich mit dem festesten, trockensten aller Alter-Junge-Händeschütteln, womit er betäubte, was von meinen Handwurzelnerven noch übrig war. Händeschütteln ist für mich immer problematisch, und ich schätzte meine Leistung bei diesem auf etwa vier Punkte ein.
»Freut mich wirklich, Sie kennenzulernen«, sagte er.
»Ich freue mich ebenfalls, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte ich. »Ich habe einige Zeit in einem Ihrer Krankenhäuser verbracht.«
»Ach ja? Salt Lake Central?«, fragte er. Ich nickte. »Das freut mich zu hören. Missus Warren und ich sind stolz auf dieses Hospital. Ich hoffe, es geht Ihnen jetzt besser?«
»Das sagt man mir wenigstens«, erwiderte ich.
»He, was hat es mit dem Kuchen auf sich?«, fragte Marena.
»Ich habe Geburtstag«, sagte Lindsay. »Ich bin heute zweiundfünfzig geworden, man glaubt’s nicht.«
»Gnadenreich«, sagte ich.
»Wie bitte?«, fragte er.
(18)
»Ein Dienstagskind«, antwortete ich, »ist, Sie wissen schon, gnadenreich. Entschuldigen Sie.«
»Oh. Nein, nein, Sie haben recht.« Er lächelte. »Ich bin wirklich an einem Dienstag geboren.«
»Sie sollten sehen, was er noch alles kann«, sagte Marena. »Er ist wie Rain Man.«
Na, vielen Dank, dachte ich.
»Ich meine, nur ohne die Probleme«, verbesserte sie sich rasch.
»Sehr interessant «, sagte er.
»Möchte jemand ein Stück?«, fragte Ashley1. Wir lehnten dankend ab.
»Wie wäre es mit einem Jasmintee?«
»Oh, danke, ein Kaffee wäre prima«, sagte ich.
»Tut mir leid, Kaffee gibt es nicht, aber Kakao. Ich kann Ihnen einen Snelgrove’s Smoothie oder …«
»Kakao, ja, danke«, sagte ich. Jesu pero , dachte ich. Diese Leute sind solche Heilige, dass es hier nicht mal
Weitere Kostenlose Bücher