2012 - Folge 7 - Ein Grab im Dschungel
wochenlange Treffen vermocht hätten. Die Ereignisse hatten sie zusammengeschweißt, und seine Erwartungen vom Vortag begannen Gestalt anzunehmen.
Er wünschte nur, dass er es hätte genießen können. Aber da waren die beiden Toten – und ein sehr seltsames Gefühl, ganz tief in ihm drinnen. Er konnte es sogar schmecken – es schmeckte ein bisschen modrig.
Nein, korrigierte er sich, es schmeckt uralt .
Und plötzlich zitterte Tom – ein wenig vor Angst, was dieses Gefühl bedeuten könnte, und zugleich vor Freude darüber …
Yucatán, Mexiko, Gegenwart
Sehr lange konnte sie nicht bewusstlos gewesen sein. Das Blut unter ihrem Haaransatz, wo Xavier Soto ihr den Messerknauf auf den Schädel geschmettert hatte, war noch nicht getrocknet. Und auch der Schmerz fühlte sich noch verdammt frisch an, als Abby die Verletzung betastete.
Ächzend zog sie sich an der Kante des Steinblocks hoch, auf dem das Skelett des Maya-Priesters lag. Dann bückte sie sich noch einmal – was neuen Schmerz in ihren Kopf schießen ließ – und hob die noch eingeschaltete Taschenlampe auf, die der Bastard ihr gnädigerweise gelassen hatte.
Abgenommen hatte er ihr nur – so weit ihre rasche Bestandsaufnahme sie nicht trog – das Blatt aus de Landas Aufzeichnungen, auf dem die Steine gekennzeichnet waren, die den gefahrlosen Weg in die Grabhöhle ermöglichten. Und … den Weg hinaus! Soto hatte ihn anhand der Zeichnung sicher unbeschadet zurücklegen können.
Abby fluchte.
Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als sich auf ihr Glück zu verlassen – und vielleicht darauf, dass die Spuren, die sie im Staub auf den Steinen hinterlassen hatten, noch zu sehen waren.
Doch selbst wenn sie es hinausschaffte, war damit noch lange nichts gewonnen. Denn dann musste sie immer noch den Weg durch den Dschungel zurück zum Jeep finden – und Soto dabei irgendwie einholen. Wenn er nicht längst mit dem Wagen auf und davon war …
Müßig, sich darüber jetzt den ohnehin schmerzenden Kopf zu zerbrechen. Für etwas musste sie sich jedoch noch kurz Zeit nehmen. Wenn sie schon den Armreif verloren hatte, wollte sie nach Möglichkeit doch nicht mit völlig leeren Händen zurückkehren. Tom hatte gesagt, sie solle nach weiteren Aufzeichnungen de Landas suchen. Was er im Umschlag der Kladde gefunden hatte, konnte längst noch nicht alles gewesen sein.
Der Lichtkegel ihrer Lampe fiel zunächst auf den Schädel des Leichnams, der sie nun doch angrinste. Soto hatte die Maske mitgenommen, um auch sie zu versilbern.
Abby leuchtete den Rest des Toten ab. Mit der anderen Hand versuchte sie den brüchigen Stoff seiner Kleidung anzuheben. Wie erwartet, zerfiel er zwischen ihren Fingern zu flockigem Staub – in dem jetzt allerdings etwas auftauchte.
Vorsichtig hob Abby die Röhre auf, die zuvor unter Ts’onots Kleidung verborgen gewesen war. Sie war etwa unterarmlang und hatte einen Durchmesser von ungefähr fünf Zentimetern, bestand aus rotem, gebrannten Ton, und beide Enden waren mit einer wächsernen Masse versiegelt.
Abby überlegte kurz, dann löste sie einen dieser Verschlüsse mit den Fingernägeln ab, leuchtete mit der Taschenlampe in das Behältnis hinein und sah, dass zusammengerollte, beschriebene Blätter aus Papyrus darin steckten. Allerdings verzichtete sie darauf, die Blätter aus dem Zylinder zu nehmen, um sie nicht zu beschädigen. Sie drückte die Wachskappe zurück auf die Tonröhre.
»Genug getrödelt«, ermahnte sie sich. »Mach hin, chica .«
Das letzte Wort erinnerte sie von neuem an Soto und fachte ihre Wut an.
Auch ihren Rucksack hatte er weder mitgenommen, noch geplündert. Abby rückte ihn zurecht und trat aus der Grabhöhle in den Gang hinaus, der von hier aus schräg nach oben ins Freie führte. Vom anderen Ende her fiel noch Tageslicht herein. Sie konnte in der Tat nur kurz ohne Besinnung gewesen sein, vielleicht sogar nur ein paar Minuten.
Das würde heißen, dass Sotos Vorsprung noch nicht allzu groß sein konnte.
Trotzdem durfte sie sich jetzt nicht zur Eile und Unbedachtheit hinreißen lassen. Denn vor ihr lag ein zwar nicht allzu langer, aber möglicherweise sehr gefährlicher Weg.
Aber möglicherweise funktionierte der Fallenmechanismus de Landas ja auch gar nicht mehr. Wenn er zum Beispiel Seilzüge oder dergleichen beinhaltete, dann mochten diese Seile in fünfhundert Jahren völlig verrottet sein.
Nur leider bedeutete »möglicherweise« eben nicht »sicherlich« …
Vor der ersten Steinreihe
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