2012 - Folge 8 - Der zeitlose Raum
Everglades als Park-Ranger gekannt hatte wie die tausend Taschen seiner Khakijacke, war in jener Nacht ums Leben gekommen.
Aber selbst wenn sie fündig geworden wäre – hätte sie es getan?
Diese Frage hatte Abby sich nie beantwortet. Und sie war sich nie im Klaren darüber gewesen, ob das so war, weil sie wirklich keine Antwort darauf wusste – oder weil sie sich vor der Wahrheit drückte. Inzwischen jedoch, gerade heute, fühlte sie sich einer Antwort seltsamerweise ein wenig näher.
»Du magst ihn?«, hatte sie Maria Luisa schließlich gefragt, um das Gespräch ein wenig aus der Richtung zu lenken, in die es lief.
»Si.«
»Es ist leicht, Tom zu mögen.«
»Aber schwer, ihn zu lieben, meinst du?« Maria Luisa sah Abby ein wenig bang an.
»Um einen Mann wie Tom zu lieben, auf Dauer, muss man bereit sein, Opfer zu bringen.«
»Man muss auch bereit sein, Opfer zu bringen, wenn man mich lieben will«, hielt Maria Luisa dagegen, und Abby wusste, dass sie damit auf ihren Bruder anspielte, für den sie nicht nur Schwester, sondern auch – und eigentlich viel mehr – Mutterersatz war.
»Vielleicht sind das gar keine so üblen Voraussetzungen«, hatte Abby gemeint, und dann hatten sie eingekauft und waren zurück in den Wald gegangen, beide Frauen in Gedanken versunken – in Gedanken an die Vergangenheit die eine, in Gedanken an die Zukunft die andere.
»Und jetzt?«, wiederholte Tom die Frage, die Abby nach ihrem Picknick gestellt hatte, und leckte sich einen kleinen Klecks Mayonnaise vom Finger. »Na ja, ich habe nachgedacht, während ich mit knurrendem Magen hier auf euch gewartet habe und mein Amigo sich ganz diesem Koffer gewidmet hat.«
»Hab’s bald, hab’s bald«, murmelte Jandro, ohne von dem Koffer aufzusehen, an dessen Zahlenschlössern er mit bewundernswerter Geduld herumdrehte.
Tom, der mit dem Rücken an einen Baum gelehnt dasaß, erhob sich. Abby wusste aus alter Erfahrung, dass das der Auftakt zu einem längeren Vortrag sein konnte. Tom sah sich dann gerne mal im Geiste einer mehr oder minder wissensdurstigen Studentenschar gegenüber.
»Ich vermute Folgendes«, begann er. »Der Raum, in den es mich mit Jandro verschlagen hat, war der Ort, den Diego de Landa als den ›sichersten der Welt‹ bezeichnete. Es kann nicht anders sein. Schließlich sind wir nur mittels des Armreifs, den de Landa ausdrücklich als Schlüssel benannt hat, hineingelangt.«
Während Abby und Maria Luisa noch dasaßen und zu ihm aufsahen, holte Tom seine Tasche aus dem Wagen. Daraus wiederum nahm er den Lederbeutel mit dem Himmelsstein. Als er die Hand aus diesem Beutel nahm und den Stein zwischen den Fingern hielt, war dieser nicht zu sehen, weil sein Arm bis zum Ellbogen in einer schwarzen Sphäre steckte, die jede Bewegung mitmachte.
Der Anblick ließ Abby auch jetzt wieder frösteln.
»Dieser so genannte Himmelsstein ist der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte«, fuhr Tom fort und drehte dabei seine unsichtbare Hand vor Augen. »Die Loge und der Mann in Weiß sind hinter diesem Artefakt her, und solange es sich in unserem Besitz befindet, werden sie Jagd auf uns machen.«
»Dann solltest du das Ding schleunigst loswerden«, warf Abby ein, ohne jedoch anzunehmen, dass Tom auf diesen Gedanken noch nicht selbst gekommen war.
»Stimmt, und das will ich auch«, bestätigte Tom. »Aber ich muss zugleich verhindern, dass er dem Mann in Weiß in die Hände fällt. Der beste Ort, wo wir den Kristall deponieren können, ist tatsächlich diese geheimnisvolle Kammer, die man nur mittels des Schlüssels betreten kann. Aber genau darin liegt die Crux: Solange wir danach nämlich den Armreif noch haben«, er sah kurz zu Maria Luisas Bruder hinüber, bevor er seine Stimme senkte, »und den haben wir, solange Jandro lebt, denn er lässt sich nicht mehr von seinem Gelenk lösen«, er hob die Stimme wieder, »besteht die Gefahr, dass er dem Mann in Weiß in die Hände fällt. Und dann würde unser Gegner sich nicht nur den Himmelsstein holen können, sondern hätte auch Zugriff auf die anderen … Artefakte, die in diesem Raum lagern.«
»Artefakte wie die Zeitstopp-Maschine«, sagte Maria Luisa.
Tom nickte und verstaute den Stein wieder im Lederbeutel und diesen dann in der Tasche. »Genau. Und das wäre …«
» Caca«, kommentierte Alejandro aus dem Hintergrund, unverändert mit dem Koffer hantierend, und bewies damit, dass er doch zugehört hatte.
»Jandro!«, rügte ihn Maria Luisa.
»Aber wo er recht
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