2012 - Folge 8 - Der zeitlose Raum
gegeben, wie Dutzende leerer Patronenhülsen und einige Beschädigungen der uralten Steinblöcke bewiesen.
Das war die beste und frischeste Spur – und nebenbei auch die einzige –, die er hatte. Grund genug, sich darauf zu konzentrieren. McDevonshire ging das Problem gewohnt methodisch und altmodisch an. Mit Papier und Bleistift fing er an, eins und eins zusammenzuzählen …
Südengland
Die Frage, die sich ihnen stellte, war nicht neu. Abby sprach sie aus. »Und jetzt?«
Sie hatten sich mit dem Van in einem Wäldchen etwas außerhalb von Winterbourne Stoke versteckt. In dem Dorf selbst wären sie mit diesem Wagen zu sehr aufgefallen. Abby hatte sich erboten, zu Fuß in den Ort zu gehen, um etwas zu essen und zu trinken zu besorgen. Maria Luisa hatte sich zu ihrer Begleitung gemeldet. Alejandro hatte hinten im Van einen bauchigen Alu-Koffer gefunden, dessen Zahlenschlösser er zu öffnen versuchte. Darin ging er so auf, dass ihm die Abwesenheit seiner Schwester nichts ausmachte.
Tom ließ ihn gewähren. Vielleicht fand sich in dem Koffer ja etwas, das er brauchen konnte. Er schärfte Alejandro aber ein, Bescheid zu geben, wenn er es geschafft hatte. Wenn Waffen in dem Koffer waren, sollte er nicht damit herumspielen.
Abby hegte eine Vermutung, weshalb Maria Luisa mit ihr gehen wollte. Und in der Tat stellte die junge Frau die erwartete Frage schon auf dem Weg ins Dorf.
»Abby, warum habt ihr euch getrennt, du und Tom?«
»Hast du Angst, dass ich ihn zurückhaben will?« Abby hatte gelächelt, damit die Frage nicht so böse klang, wie man sie an Maria Luisas Stelle hätte auffassen können.
Die junge Spanierin hob die Schultern. »Nein, jetzt nicht mehr. Am Anfang, als er dich erwähnt hat, da schon … na, ein bisschen vielleicht.« Sie flüchtete sich in ein verlegenes Lächeln. »Aber inzwischen habe ich gemerkt, dass ihr nur noch Freunde seid.« Ein neuerliches Achselzucken. »Oder wie Geschwister.«
Abby hatte genickt, die Füße durchs Gras der Wiese zwischen Wald und Ortsrand schleifend. »Ja, das trifft es wohl ganz gut. Wir sind wie Bruder und Schwester.«
»Wann habt ihr aufgehört, wie Mann und Frau zu sein?«
Tom hatte dem Mädchen sein Geheimnis offenbar nicht verraten. Und Abby hatte nicht vor, ihm das abzunehmen. Denn früher oder später würde er nicht darum herumkommen, wenn das mit ihm und Maria Luisa so lange hielt, dass sie von selbst darauf kam. Irgendwann würde sie merken, dass Tom nicht älter wurde – im Gegensatz zu ihr.
Wenn Maria Luisa also dieselbe Feststellung traf wie Abby vor einigen Jahren.
»Lag es, bitte verzeih mir die Frage, am Altersunterschied?«, fragte das Mädchen.
Die Frage drängte sich verständlicherweise auf, aber sie tat auch weh. Nur hatte Maria Luisa sie natürlich nicht in böser Absicht gestellt. Aber sie wusste eben auch nicht, wie schmerzhaft nahe sie der Wahrheit damit kam.
Und deshalb antwortete Abby: »Ja, so könnte man sagen. Das hat eine Rolle gespielt.«
Genau genommen war dieser Unterschied ihr einziger Grund gewesen, sich von Tom zu trennen – sie wollte nicht alt werden müssen an der Seite eines Mannes, der jung bleiben durfte, und das vielleicht ewig.
Natürlich war das keine Entscheidung gewesen, die sie von Knall auf Fall getroffen hatte. Sie war gewachsen – so wie der Unterschied zwischen ihnen gewachsen war, und irgendwann war dieser Unterschied für Abby unüberbrückbar und die Entscheidung damit unaufschiebbar geworden.
In den Jahren dazwischen hatte sie sich, als ihnen beiden klar wurde, was mit Tom geschah und wo es seinen Anfang genommen haben musste, durchaus überlegt, es ihm nachzutun. Das Sumpfloch in den Everglades zu suchen und von dem Wasser dort zu trinken, um auch ihr Altern anzuhalten.
Als sie jetzt daran dachte, musste Abby innerlich auflachen. Zeugte es nicht von der tatsächlich existierenden Ironie des Schicksals, dass Tom jetzt auch noch ein Gerät in die Hände gefallen war, mit dem er die Zeit selbst anhalten konnte?
Sie nahm ihren ursprünglichen Gedanken wieder auf.
Ohne Toms Wissen war sie sogar nach Florida zurückgekehrt, um den »Jungbrunnen« zu suchen. Aber sie hatte ihn nicht mehr gefunden. Dort draußen hatte ein Sumpfloch wie das andere ausgesehen, zudem war es damals dunkel gewesen und dann hatte ein Unwetter getobt. Dazu kamen die Umstände, die Gefahr, die Hektik … Und Red Oquendo, der einzige Mann, der die Stelle später vielleicht wieder gefunden hätte, weil er die
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