2012 - Folge 9 - Die Weltuntergangsmaschine
sagen. Aber eine Stimme in ihm hielt dagegen, dass es sehr wohl sein konnte, so unerklärlich es im Moment auch sein mochte – weil man bei diesem Mann mit allem rechnen musste.
Und so würgte er schließlich hervor: »Das … ist Tom Ericson.«
Jandro sah seinen Händen zu, die wie von selbst an den Rädchen der Kofferschlösser drehten. Er saß auf der Kante des Betts, das eigentlich Toms Bett war, aber seinem Amigo machte das bestimmt nichts aus.
Anders war das mit dem Koffer. Tom wollte nicht, dass er, Jandro, ihn allein öffnete. Er meinte, da könnte was Gefährliches drin sein. Tom machte sich Sorgen um seinen Amigo.
Ein Lächeln huschte über Jandros Gesicht. Es freute ihn, dass sich neuerdings neben Maria Luisa noch jemand um ihn sorgte.
Aber Jandro war kein Kind. Ein bisschen konnte er schon auf sich selber aufpassen. Und dumm war er auch nicht. Sobald er merkte, dass etwas Gefährliches in dem Koffer war, würde er ihn schnell wieder zuklappen.
Es ging ihm ja auch gar nicht um das, was in dem Koffer sein mochte. Ihn reizten nur diese herrlichen Schlösser! Und wie sehr sie ihn fesselten, das konnten weder Tom noch Maria Luisa verstehen. Dazu musste man Jandro sein. Wie Jandro denken und empfinden.
Die Zahlen der Schlösser gehörten in eine bestimmte Reihenfolge. Dann war alles richtig. Wenn sie durcheinander waren, dann war alles falsch. In Unordnung. Und Jandros Aufgabe war es, Ordnung zu schaffen. Alles an seinen Platz zu tun. Damit er wusste, wo er war, wo er hingehörte, sich nicht verloren fühlte.
Es war schwer geworden, sich nicht verloren vorzukommen. Er musste sich anstrengen, damit wenigstens in seinem Kopf alles seine alte Ordnung behielt – vor dem Auge, mit dem man nicht sah, was gerade um einen her war, sondern das, was früher um einen her gewesen war.
Und um so wichtiger war es, diese Zahlen in die Ordnung zu bringen, in die sie gehörten, weil sonst … weil sonst …
Jandro spürte, wie Risse entstanden in den Bildern vor dem Auge in seinem Kopf. Er schloss die anderen, die richtigen Augen. Konzentrierte sich darauf, vor dem Auge im Kopf alles wieder zu kitten.
Und derweil machten seine Hände sich weiter an den Schlössern zu schaffen, nicht nur wie unabhängig von ihm, sondern auch unabhängig voneinander.
Jandro hatte die möglichen Kombinationen, die sich aus den Rädchen zusammenstellen ließen, berechnet.
Es waren … viele. Selbst für ihn, für den eine Ziffer in der Regel wie die andere war, egal, wie viel Stellen sie hatte, war diese eine Zahl groß .
Aber sie war nicht unendlich groß. Sie war zu erreichen.
Hätte er Glück gehabt, hätte er sie auf Anhieb gefunden. Nur schien er sein Glück in letzter Zeit für andere Dinge aufgebraucht zu haben. Und so brauchte es eben seine Zeit, bis …
Klick.
Einer der beiden Verschlüsse schnappte auf.
Jandro öffnete die Augen. Grinste schief. Die Hand, die diesen Verschluss geöffnet hatte, fiel auf sein Knie. Sie durfte sich ausruhen.
Die andere musste weitermachen.
Bis es noch einmal klickte. Nur ein paar Minuten später. Offenbar war doch noch ein wenig von seinem Glück übrig gewesen.
Glück …
Maria Luisa hatte ihm einmal erklärt, was das war. Was es sein konnte. Richtig verstanden hatte er es nicht. Geglaubt hatte er es trotzdem. Weil Maria Luisa nur die Wahrheit sagte, immer recht hatte und alles wusste.
Der Gedanke bereitete ihm ein schönes Gefühl. Und auch das war, hatte Maria gesagt, eine Form von Glück. Man fühlte sich dann glücklich.
Glücklich fühlte sich Jandro auch beim Anblick der beiden offenen Schlösser. Das Rätsel war gelöst, die Ordnung hergestellt.
Er legte den Koffer auf den Tisch. Vorsichtig hob er den Deckel an, zögerte. Sollte er warten, bis seine Schwester und Tom wiederkamen?
Aber wenn er schon einmal einen Blick, einen ganz kleinen nur, in den Koffer warf, würde er ihnen sagen können, was sich darin befand.
Jandro klappte den Kofferdeckel hoch. Und darunter …
Er staunte und grinste.
»Noch ein Puzzle! Mit … eins, zwei, drei, vier, fünf …«, Jandro zählte, nur mit den Augen, ohne in den Koffer zu fassen, »… mit vierzig Teilen.«
Er klatschte freudig in die Hände, fast so laut wie Toms Freund, der Riese.
»Don Ciarlatano?«, fragte Sophie Schultheiß verdutzt. Sie hatte fast Mühe, mit Bruno Dallocchio Schritt zu halten, der sich zwischen den Menschen auf dem sonnigen Petersplatz hindurchschob und Kurs auf die gewaltige Basilika nahm.
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