2012 - Folge 9 - Die Weltuntergangsmaschine
»Warum nennen Sie ihn so? Don Scharlatan …«
»Weil er einer ist«, antwortete der Archäologe. »Seit Jahren hockt er da in seinem warmen Nest und macht den Menschen weis, dass ohne ihn die Hölle über sie hereinbräche.«
»Dann ist er ein …«, Sophie hob die schmalen Schultern und drückte sich um einen Mann herum, der wagemutig genug war, in dem Getümmel ein Stativ für seine Fotokamera aufzubauen, »… ein Exorzist, meinen Sie?«
»Das meine ich nicht, aber er nennt sich so. Und hat anderen genug Sand in die Augen gestreut, um sie von der Notwendigkeit seiner Profession zu überzeugen.«
»Na ja, bis gestern hätte ich auch nicht an Geister geglaubt«, sagte Sophie. »Aber als ich dann sah, wie drei Gestalten aus einer Grabkammer traten, durch eine Mauer hindurch, als wäre sie gar nicht da …« Sie schauderte in der Erinnerung an ihr Erlebnis in der Nekropole.
Dallocchio schnaubte nur verächtlich. »Tom Ericson mag alles Mögliche sein, nur eines nicht: ein Geist.«
Obwohl, dachte er, so wie er mir immer noch im Kopf herumspukt …
Er war, nachdem er den Brunch ein bisschen eilig beendet hatte, zum Vatikan aufgebrochen. Wenn Sophie Schultheiß sich nicht geirrt und tatsächlich Ericson gesehen hatte – und aus irgendeinem Grund nahm Dallocchio an, dass sie ihn gesehen hatte, vielleicht einfach nur, weil man bei ihm mit allem rechnen musste –, würde der Amerikaner bei seinem Freund Don Ciarlatano vorstellig geworden sein.
Dallocchio wollte sich Gewissheit verschaffen, bevor er der Polizei mitteilte, dass er wusste, wo sich der gesuchte Mörder aufhielt!
Der Fall Víctor Javier Tirado hatte nicht weltweit Staub aufgewirbelt. Aber in der Szene hatte er sich herumgesprochen; Tirado war unter Kunstsammlern und Archäologen kein Unbekannter gewesen, und für Ericson galt das Gleiche. Im Gespräch mit Kollegen hatte Dallocchio mitbekommen, dass die meisten einen Irrtum dahinter vermuteten. Ericson sei vieles zuzutrauen, aber ein Mord …?
Dallocchio musste sich eingestehen, dass es ihm früher einmal selbst schwergefallen wäre, in Tom Ericson einen Mörder zu sehen. Er hatte den Amerikaner damals schließlich selbst mit ins Boot geholt, als die Ausgrabungen unter dem Vatikan begannen. Sie waren keine Freunde gewesen, allerdings nur deshalb nicht, weil sie einander zuvor kaum und nicht lange genug begegnet waren. Doch Dallocchio hatte Ericson als Kollegen geschätzt und ihn deshalb dabei haben wollen.
Dann war alles anders gekommen. Dallocchio hatte gesehen, wozu Ericson fähig war.
Und das Ende vom Lied …
Sabrinas Gesicht wehte ihm durch den Kopf wie ein Gespenst, lächelte ihm erst zu, und dann verzog es sich vor Todesangst zur Grimasse und er hörte ein undefinierbares Geräusch, als wäre etwas in der Frau, die er liebte zerbrochen …
Ericson gehörte hinter Gitter! Wenn nicht für den Mord an Tirado, dann für das, was er Sabrina angetan hat. Und mir …, dachte Dallocchio.
Es war nicht leicht, in die vatikanischen Gärten vorzudringen, aber auch nicht unmöglich. Dallocchio arbeitete schon so lange im Vatikan, dass die Schweizergardisten ihn fast überall hinließen; sein Gesicht und sein guter Ruf waren Legitimation genug.
Don Scharlatan war nicht zu Hause.
Der Archäologe fragte einen Gardisten, ob er den Padre gesehen habe. Don Phantasos sei mit einer Ordensschwester und einem Kapuzinermönch spazieren gegangen, sagte der Uniformierte.
Sie fanden das Trio schließlich vor der Treppe zur Basilika, die Christofides – der in seiner schwarzen Soutane aus der Menge herausragte, als wollte er dem Obelisken in der Mitte des Petersplatzes Konkurrenz machen – und seine Begleiter offenbar gerade verlassen hatten. Jetzt standen sie vor einem Plakat, das Dallocchio aus der Ferne zwar nicht lesen konnte, trotzdem aber wusste, dass es auf das historische Ballon-Festival hinwies, das morgen auf dem Petersplatz stattfinden würde.
»Der Mann in der Kutte, der Mönch«, sagte Dallocchio zu der Studentin, die ihn begleitete, »das könnte unser Mann sein.«
Sophie Schultheiß zuckte mit den Schultern. »Ich kann sein Gesicht nicht sehen. Von der Statur her könnte es passen.«
Dallocchio schob sich durch die Besuchermenge, versuchte aber unauffällig zu bleiben. Er wollte nicht, dass Ericson seinerseits ihn sah. Und noch schwieriger war es natürlich, sich vor Don Scharlatan zu verbergen, der über sämtliche Köpfe hinwegblicken konnte. Dallocchio hoffte, dass ihm sein
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