2012 - Schatten der Verdammnis
handelt. Das Zimmer riecht nach Desinfektionsmitteln.
Mick Gabriel ist aufgestanden und hält den Kopf leicht geneigt, sodass sie ihm nicht in die Augen blicken kann.
Dominique streckt ihm die Hand entgegen und zwingt sich zu einem Lächeln. »Dominique Vazquez.«
Mick hebt den Kopf und lächelt ebenfalls. Tierhafte Augen werden sichtbar, so unergründlich schwarz, dass nicht zu erkennen ist, wo die Pupillen enden und wo die Iris beginnt.
»Dominique Vazquez. Dominique Vazquez.« Der Patient spricht jede Silbe bedächtig aus, als wolle er sie in sein Gedächtnis schweißen. »Es ist wirklich schön, Sie...«
Mit einem Mal verschwindet das Lächeln und der starre Gesichtsausdruck wird leer.
Dominique spürt das Blut in ihren Ohren pochen. Bleib ruhig. Beweg dich nicht.
Mick schließt die Augen. Etwas Unerwartetes geschieht mit ihm. Dominique sieht, wie sein Kiefer sich leicht hebt, wobei die Narbe hervortritt. Seine Nasenlöcher beben wie die eines Tieres, das seine Beute verfolgt.
»Darf ich näher kommen, bitte?« Die Worte sind ganz leise, fast ein Flüstern. Sie spürt, wie eine emotionale Barriere hinter der Stimme zu brechen beginnt.
Dominique kämpft gegen den Drang an, sich der Rauchglasscheibe zuzuwenden.
Die Augen öffnen sich wieder. »Ich schwöre beim Andenken meiner Mutter, dass ich Ihnen nichts antun werde.«
Pass auf seine Hände auf. Dann kannst du ihm das Knie reinrammen, wenn er sich auf dich stürzt. »Sie können näher kommen, aber keine plötzlichen Bewegungen, okay? Dr. Foletta beobachtet uns.«
Mick geht zwei Schritte auf sie zu und bleibt eine Armeslänge von ihr entfernt stehen. Er streckt den Kopf vor, schließt die Augen und atmet ein, als sei ihr Gesicht ein Glas exquisiten Weins.
Die Nähe des fremden Mannes lässt die Härchen auf ihren Armen sich aufrichten. Sie beobachtet, wie seine Gesichtsmuskeln sich entspannen. Verlässt er in Gedanken das Zimmer? Wasser steigt hinter den geschlossenen Augenlidern auf. Mehrere Tränen quellen hervor und rinnen ungehindert an seinen Wangen herab.
Einen kurzen Augenblick verleitet ihr mütterlicher
Instinkt sie dazu, ihren Schutzschild sinken zu lassen. Spielt er mir etwas vor? Ihre Muskeln entspannen sich.
Mick öffnet die Augen, die nun schwarzen Seen gleichen. Die tierhafte Intensität ist verschwunden.
»Danke. Ich glaube, meine Mutter hat dasselbe Parfüm benutzt.«
Sie tritt einen Schritt zurück. »Es ist von Calvin Klein. Ruft das glückliche Erinnerungen in Ihnen wach?«
»Ein paar üble ebenfalls.«
Der Bann ist gebrochen. Mick tritt zu der Liege. »Möchten Sie lieber auf dem Stuhl oder auf dem Bett sitzen?«
»Ich nehme den Stuhl.« Er wartet, bis sie sich gesetzt hat, dann lässt er sich so auf dem Rand der Liege nieder, dass er sich mit dem Rücken an die Wand lehnen kann. Mick bewegt sich wie ein Athlet.
»Ich habe den Eindruck, es ist Ihnen gelungen, in Form zu bleiben.«
»Wenn man in Einzelhaft sitzt, kann man das durchaus schaffen - vorausgesetzt, die mentale Disziplin ist da. Ich mache täglich tausend Liegestützen und Situps.« Sie spürt, wie sein Blick über ihre Konturen gleitet. »Sie schauen aber auch recht sportlich aus.«
»Ich versuch’s zumindest.«
»Vazquez... Mit >s< oder mit >z«
»Mit >z<.«
»Aus Puerto Rico?«
»Ja. Mein... mein biologischer Vater ist in Arecibo aufgewachsen.«
»Da steht das größte Radioteleskop der Welt. Aber Ihr Akzent klingt nach Guatemala.«
»Da hab ich meine Kindheit verbracht.« Er hat das Gespräch völlig unter Kontrolle. »Offenbar sind Sie schon mal in Mittelarnerika gewesen?«
»Ich war in vielen Ländern.« Mick kreuzt die Beine zum Lotussitz. »Sie sind also in Guatemala aufgewachsen.
Wie haben Sie denn ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten gefunden?«
»Meine Eltern sind gestorben, als ich noch ein Kind war. Da hat man mich zur Familie eines Cousins nach Florida geschickt. Aber jetzt reden wir mal über Sie.«
»Sie haben von Ihrem biologischen Vater gesprochen. Es ist also wichtig für Sie, ihn so zu definieren. Wer ist der Mann, den Sie als Ihren eigentlichen Vater bezeichnen würden?«
»Isadore Axler. Er und seine Frau haben mich adoptiert. Nach der Zeit bei meinem Cousin war ich eine Weile in einem Waisenhaus. Iz und Edith Axler sind wunderbare Menschen. Sie arbeiten beide als Meeresbiologen. Sie betreiben eine SOSUS-Station auf Sanibel Island.«
»SOSUS?«
»Das ist ein Unterwasser-Überwachungssystem, ein globales Netz aus
Weitere Kostenlose Bücher