2012 - Schatten der Verdammnis
er fort. »Interessanterweise war es Borgia, der den Vortrag von Gabriel eingeleitet hat. Dabei hat er wahrscheinlich ein paar Dinge gesagt, die er nicht hätte sagen sollen und die das Publikum zusätzlich aufgestachelt haben. Julius Gabriel hatte ein schwaches Herz. Als er hinter dem Podium tot umgefallen ist, hat Mick sich gerächt. Es hat sechs Cops gebraucht, um ihn von seinem Opfer abzubringen. Steht alles in den Akten.«
»Eigentlich klingt das mehr nach einem isolierten Gefühlsausbruch, verursacht von...«
»Eine derartige Wut braucht Jahre, um sich aufzustauen, Ms. Vazquez. Michael Gabriel war wie ein Vulkan, der darauf wartete, auszubrechen. Er war ein Einzelkind,
das von zwei führenden Archäologen in den entlegensten Gebieten der Welt aufgezogen wurde. Tatsächlich hat er weder eine Schule besucht noch die Gelegenheit gehabt, mit anderen Kindern umzugehen. All das hat zu einem extremen Fall von antisozialer Persönlichkeitsstörung geführt. Teufel, Mick ist wahrscheinlich nie mit einem Mädchen auch nur ausgegangen. Alles, was er je gelernt hat, haben ihm seine einzigen Gefährten beigebracht - seine Eltern. Und von denen war mindestens ein Teil unzurechnungsfähig.«
Foletta überreicht ihr die Akte.
»Was ist aus seiner Mutter geworden?«
»Die ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben, als die Familie in Peru lebte. Aus irgendeinem Grund geht ihr Tod ihm immer noch nach. Ein oder zwei Mal im Monat wacht er schreiend auf. Üble Albträume.«
»Wie alt war Mick, als seine Mutter gestorben ist?«
»Zwölf.«
»Irgendeine Vermutung, weshalb ihr Tod noch immer ein derartiges Trauma für ihn darstellt?«
»Nein. Mick weigert sich, darüber zu sprechen.« Foletta setzt sich zurecht. Auf dem zu kleinen Sessel fühlt er sich sichtlich unbehaglich. »Ehrlich gesagt, Ms. Vazquez, mag Michael Gabriel mich nicht besonders.«
»Übertragungsneurose?«
»Nein. Die Beziehung zwischen Mick und mir war nie wirklich die von Arzt und Patient. Ich bin zu seinem Gefängniswärter geworden, zu einem Teil seiner Paranoia. Teilweise hat das zweifellos mit den ersten Jahren seiner Haft zu tun. Mick ist es sehr, sehr schwer gefallen, sich daran zu gewöhnen. Eine Woche vor der Untersuchung, bei der die ersten sechs Monate ausgewertet werden sollten, ist er über einen unserer Wärter hergefallen. Er hat ihm beide Arme gebrochen und ihm wiederholt in die Leisten getreten. Dabei hat er so viel Schaden angerichtet, dass beide Hoden entfernt werden
mussten. Irgendwo in der Akte ist ein Foto, falls es Sie interessiert...«
»Nein, danke.«
»Als Strafe für diesen Übergriff hat er den größten Teil der vergangenen zehn Jahre in Einzelhaft verbracht.«
»Das hört sich ein bisschen streng an, nicht wahr?«
»Nicht da, wo ich herkomme. Mick ist wesentlich schlauer als die Männer, die wir einstellen, um ihn zu bewachen. Es ist am besten für alle Betroffenen, wenn er isoliert bleibt.«
»Wird er hier an Gruppenaktivitäten teilnehmen dürfen?«
»Hier hat man strenge Regeln für die Eingliederung der Insassen, aber vorläufig lautet die Antwort: nein.«
Dominique betrachtet noch einmal die Polaroid-Aufnahmen. »Inwiefern muss ich mir Gedanken darüber machen, ob dieser Kerl mich angreift?«
»In unserem Beruf, Ms. Vazquez, muss man sich immer Gedanken machen. Stellt Mick Gabriel eine Gefahr dar? Immer. Glaube ich, dass er Sie angreifen wird? Eher nicht. Die letzten zehn Jahre waren nicht leicht für ihn.«
»Wird man ihm je erlauben, ins normale Leben zurückzukehren?«
Foletta schüttelt den Kopf. »Nie. Dies ist die letzte Station auf Mick Gabriels Lebensweg. Er wird nie in der Lage sein, mit den Anforderungen fertig zu werden, die das Leben draußen mit sich bringt. Mick hat Angst.«
»Angst wovor?«
»Vor seiner eigenen Schizophrenie. Mick behauptet, er könne spüren, wie die Gegenwart des Bösen immer stärker wird. Sie nährt sich, meint er, von dem Hass und der Gewalt, die in der Gesellschaft herrschen. Seine Phobie erreicht immer dann ihren Höhepunkt, wenn wieder mal irgendein wütender Knabe sich die Waffe seines Vaters schnappt und in seiner Highschool Amok läuft. So was nimmt ihn wirklich mit.«
»Mich nimmt so was auch mit.«
»Aber nicht so. Mick wird zu einem Tiger.«
»Wird er sediert?«
»Wir geben ihm Zyprexa, zweimal täglich. Das reicht, um seine Aggression weitgehend zu beherrschen.«
»Und was soll ich nun mit ihm anfangen?«
»Nach dem Gesetzbuch dieses Staates muss er
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