2012 - Schatten der Verdammnis
Vorfahren hinterlassen haben, entwickle ich Hypothesen, formuliere Theorien. Ich suche in Jahrtausende alten Mythen, um einzelne Spuren der Wahrheit zu entdecken.
Im Verlauf der Zeit haben Wissenschaftler wie ich auf brutale Weise erfahren müssen, dass nur allzu oft die Wahrheit unterdrückt wird, weil die Menschen Angst haben. Sie wird als Ketzerei gebrandmarkt und erstickt, bis Kirche und Staat, Richter und Schöffen in der Lage sind, ihre Furcht zu überwinden und zu akzeptieren, wie die Dinge wirklich sind.
Ich bin Wissenschaftler, kein Politiker. Es liegt mir nichts daran, durch jahrelange Forschungen gestützte Theorien in einem Hörsaal voller selbst ernannter Gelehrter zu präsentieren, damit diese Leute abstimmen können, ob die Wahrheit über das Schicksal der Menschheit akzeptabel ist oder nicht. Von ihrem Wesen her hat Wahrheit nichts mit einer
demokratischen Prozedur zu tun. Wie ein engagierter Reporter bin ich nur daran interessiert, was tatsächlich geschehen ist und was geschehen könnte. Und wenn die Wahrheit sich als so unglaublich herausgestellt haben sollte, dass man mich als Ketzer brandmarkt, kann ich nichts machen.
Schließlich befinde ich mich in guter Gesellschaft: Darwin hat man als Ketzer bezeichnet, und vor ihm Galileo Galilei; vor genau vierhundert Jahren starb Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen, weil er darauf bestand, dass es andere Weiten neben der unseren geben muss.
Wie Bruno werde auch ich tot sein, bevor das bittere Ende der Menschheit naht. Hier liegt Julius Gabriel, Opfer eines kranken Herzens. Mein Arzt drängt mich, besser auf mich aufzupassen; er warnt, mein Herz sei eine Zeitbombe, diejeden Augenblick detonieren könne. Soll es doch detonieren, sage ich. Dieses wertlose Organ hat mir nur Kummer gemacht, seit es vor elf Jahren gebrochen ist, als meine liebe Frau starb, der Mensch, der mir am meisten bedeutet hat.
Dies sind meine Memoiren, der Bericht einer Reise, die vor etwa zweiunddreißig Jahren begonnen hat. Mit der Niederschrift dieser Informationen bezwecke ich zweierlei. Zum Einen ist das Ergebnis meiner Forschungen so kontrovers und so erschreckend hinsichtlich seiner Folgerungen, dass die Wissenschaft, wie mir nun klar ist, alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um die Wahrheit über das Schicksal der Menschheit zu unterdrücken, zu ersticken oder glatt zu leugnen. Doch zum Zweiten weiß ich, dass es einzelne Menschen in der Menge gibt, die -wie mein eigener Sohn - lieber kämpfen werden, als untätig zuzusehen, wie das Ende naht. Euch, ihr Kämpfer für die Rettung, hinterlasse ich dieses Tagebuch und gebe damit den Stab der Hoffnung weiter. Jahrzehnte voller Mühsal und Elend verbergen sich in diesen Seiten, in diesem Ausschnitt der Menschheitsgeschichte, den ich Jahrtausende alten Spuren im Kalkstein
entrissen habe. Nun liegt das Schicksal unserer Spezies in den Händen meines Sohnes - und vielleicht in denen jener anderen Menschen, die diese Zeilen lesen. Zumindest werden sie - werdet ihr - nicht mehr zu dem Teil der Mehrheit gehören, die Michael als >unschuldige Ignoranten< bezeichnet. Betet, dass Menschen wie mein Sohn das uralte Rätsel der Maya lösen können.
Und dann betet für euch selbst.
Es heißt, die Angst vor dem Tod sei schlimmer als der Tod an sich. Noch schlimmer ist es, glaube ich, den Tod eines geliebten Menschen zu beobachten. Erlebt zu haben, wie das Leben jener verwandten Seele vor meinen Augen verlosch, gespürt zu haben, wie ihr Körper in meinen Armen erkaltete - das war zu viel Verzweiflung für ein einziges Herz. Manchmal bin ich tatsächlich dankbar dafür, dass ich bald sterben werde, denn ich wage es mir nicht einmal vorzustellen, qualvoller Zeuge dessen zu sein, wie die gesamte Menschheit unter der weltweiten Katastrophe leidet, die auf sie zukommt.
Ihr aber, die ihr über meine Worte spottet, seid gewarnt: Der Tag der Abrechnung naht rasch, und Unkenntnis über das, was dann geschieht, wird nichts an den Folgen ändern.
Heute sitze ich hinter dem Podium in Harvard und ordne meine Unterlagen, während ich auf meinen Auftritt warte. So viel hängt von meinem Vortrag ab, so viele Leben. Meine größte Sorge ist, dass die Arroganz meiner Kollegen zu groß ist, als dass sie meinen Schlussfolgerungen unbefangen gegenübertreten könnten. Lässt man mir eine Chance, die Fakten auszubreiten, dann kann ich ihr wissenschaftliches Interesse wecken, das weiß ich. Macht man mich jedoch lächerlich, so fürchte ich, dass
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