2012 - Schatten der Verdammnis
ausgehändigt, allerdings erst, nachdem sie eine vierseitige Vereinbarung unterschrieben hat, strengstes Stillschweigen über den Inhalt zu bewahren.
Der Regen hat nachgelassen, als Dominique Hollywood Beach erreicht und ihren Wagen in die dunkle Garage eines Hochhauses lenkt. Sie stellt den Motor ab und starrt auf das gespenstische Bild, das auf dem Monitor an der Windschutzscheibe erscheint. Es stammt von der Infrarotkamera, die vorne am Kühler des Roadsters montiert ist, und bestätigt, dass die Garage menschenleer ist.
Dominique lächelt über ihren eigenen Verfolgungswahn. Sie fährt in dem antiquierten Aufzug in den fünften Stock und hält beim Aussteigen die Tür für Mrs. Jenkins und ihren weißen Zwergpudel auf, die nach unten fahren wollen.
Das Einzimmerapartment, das im Besitz ihrer Adoptiveltern ist, liegt am Ende des Flurs. Es ist die letzte Tür rechts. Während sie den Geheimcode eingibt, öffnet sich die Tür in ihrem Rücken.
»Na, Dominique, wie war dein erster Arbeitstag?« Rabbi Richard Steinberg umarmt sie. Hinter seinem braunen, leicht ergrauten Bart wird ein warmes Lächeln sichtbar. Der Rabbi und seine Frau sind enge Freunde ihrer Eltern; Dominique kennt die beiden, seit sie vor fast zwanzig Jahren adoptiert wurde.
»Ziemlich anstrengend. Ich glaube, ich verzichte aufs Abendessen und lege mich gleich in die heiße Badewanne.«
»Hör mal, Mindy und ich wollen dich nächste Woche zum Abendessen einladen. Wie wär’s mit Dienstag?«
»Das müsste gehen. Danke.« »Gut, gut. Ach, gestern hab ich mit Iz telefoniert. Hast du gewusst, dass er und deine Mutter vorhaben, zu Jom Kippur herzukommen?«
»Nein, das ist...«
»Tschuldigung, aber ich muss los. Am Sabbat darf ich nicht zu spät kommen. Wir melden uns nächste Woche noch mal.«
Sie winkt ihm zu und sieht ihn den Flur entlangeilen. Dominique mag Steinberg und seine Frau. Sie sind warmherzig und aufrichtig, und sie weiß, dass Iz die beiden gebeten hat, ein wenig auf sie aufzupassen.
Dominique betritt das Apartment und öffnet die Balkontür, damit die Meeresbrise das muffige Zimmer mit einem Schub salziger Luft erfüllen kann. Der nachmittägliche Schauer hat die meisten Strandbesucher verscheucht. Hinter den Wolken lugen die letzten Sonnenstrahlen hervor und werfen einen purpurroten Schein aufs Wasser.
Es ist ihre liebste Tageszeit, denn nun hat sie Gelegenheit, allein zu sein. Sie denkt an einen Strandspaziergang, überlegte es sich dann aber anders. Aus einer Weinflasche, die offen im Kühlschrank steht, gießt sie sich ein Glas ein, streift die Schuhe ab und geht auf den Balkon zurück. Sie stellt das Glas neben das in Leder gebundene Tagebuch auf einen Kunststofftisch, legt sich in ihren Liegestuhl und reckt sich, während ihr Körper in den weichen Polstern versinkt.
Das einförmige Rauschen der Wellen tut bald seine Wirkung. Sie nippt an dem Wein, schließt die Augen und lässt die Gedanken zu ihrer Begegnung mit Michael Gabriel zurückkehren.
Vier Ahau, drei Kankin. Seit ihrer frühen Kindheit hat Dominique diese Worte nicht mehr gehört.
Gedankenvoll versinkt sie in einem Traum. Sie ist wieder im Hochland von Guatemala, gerade sechs Jahre alt. Neben ihr kniet ihre Großmutter mütterlicherseits. Gemeinsam arbeiten sie in der Nachmittagssonne auf dem Zwiebelbeet. Eine kühle Brise, die Xocomil, weht vom Atitlansee herüber. Das Kind lauscht aufmerksam, während die raue Stimme der alten Frau erzählt. »Den Kalender haben uns unsere Vorfahren, die Olmeken, vererbt. Seine Weisheit stammt von unserem Lehrer, dem großen Kukulkan. Lange bevor die Spanier unser Land eroberten, hinterließ der große Lehrer Warnungen vor kommenden Katastrophen. Vier Ahau, drei Kankin, der letzte Tag des Maya-Kalenders. Nimm dich vor diesem Tag in Acht, mein Kind. Wenn die Zeit kommt, musst du zu uns, nach Hause reisen, denn im Popol Vuh heißt es, nur hier kann uns unser Leben zurückgegeben werden. «
Dominique schlägt die Augen auf und blickt auf den schwarzen Ozean. Weiße Schaumkronen rollen im Licht des halb hinter Wolken verborgenen Mondes heran.
Vier Ahau, drei Kankin - der 21. Dezember 2012.
Der Tag, an dem der Menschheit nach den alten Prophezeiungen das Ende droht.
AUS DEM TAGEBUCH VON JULIUS GABRIEL
24. August 2000
Mein Name: Professor Julius Gabriel.
Ich bin Archäologe, ein Forscher, der die Relikte der Vergangenheit studiert, um mehr über uralte Kulturen zu erfahren. Mit Hilfe von Indizien, die uns unsere
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