Das Zeichen des fremden Ritters
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Fremde Gäste auf der Burg
N oël, Noël, lala, lala«, sang Pierre, der französische Koch, in der Küche des Grafen von Erlenburg, während er die frisch gebackenen Honigkuchen sorgfältig in Stücke schnitt und auf Tellern stapelte.
»No-el, No-el heißt Weih-nach-ten!«, sangen Hannes und die anderen Küchenjungen lauthals mit, obwohl sie so viel zu tun hatten, dass es kaum zu schaffen war.
Alle in der großen Burgküche hatten gute Laune. Es war Weihnachten! Gestern, am 24. Dezember, hatten sie noch Fisch und Eiersuppe kochen müssen. Da war noch Fastenzeit gewesen. Aber seit der Mitternachtsmette war es endlich so weit: Nach sechs langen Wochen durfte man wieder alles essen. Also hatten sie die köstlichsten Gerichte für das große Weihnachtsmahl des Grafen von Erlenburg zubereitet.
Für Hannes und die anderen Gehilfen bedeutete Weihnachten zwar einen ganzen Berg Arbeit in der Burgküche, und das würde auch noch bis zum Dreikönigstag so weitergehen, aber mitsingen wollten sie trotzdem!
|10| Vornehme Gäste waren der Einladung des Grafen Wilhelm für die zwölf Tage des Weihnachtsfestes gefolgt. Von überall her waren sie gekommen: Ritter und Edelfrauen mit ihren Knappen und ihrem Gefolge. Die Burg summte wie ein Bienenkorb.
Einer der Ritter war sogar aus Frankreich angereist. Guy de Vitry war der Schwager des Grafen von Erlenburg. Seine Frau Amalia hatte darauf bestanden, ihren Bruder zu Weihnachten zu besuchen. Und Graf Guy hatte darauf bestanden, seinen Koch Pierre mitzunehmen, weil er gerade an Weihnachten nicht auf französische Speisen verzichten wollte.
»Gut!«, rief Pierre. »Annes, ’ilf mir mit diese Kunstwerk! Vite, vite.«
Pierre war zwar erst zwei Tage da, aber das hatte Hannes gereicht, um einiges aufzuschnappen. Und nicht nur ein paar wirklich gute französische Rezepte. Franzosen konnten offenbar kein »H« sprechen, also hieß Hannes für Pierre nur »Annes«. Und dieses »wit wit« bedeutete, dass man schnell machen sollte. Und bei Pierre musste man dauernd schnell sein.
Hannes stellte rasch die beiden Kannen mit Rosenwasser wieder ab, die er gerade in die Halle hatte tragen wollen. Pierre zeigte auf einen großen, flachen Marzipankuchen, auf dem die Wappen der beiden Grafenfamilien prangten. Er hatte sie aus Zucker geformt, aber sie sahen täuschend echt aus – genauso wie in dem Festschmuck, der in der Halle an der Wand hinter dem Hohen Tisch befestigt war: der rote Löwe mit den goldenen |11| Krallen für den Grafen von Erlenburg und für Graf Guy de Vitry eine Burg mit drei Türmen, darüber drei goldene französische Lilien.
Jetzt sollte der ganze Kuchen vorsichtig vom Tisch auf ein sauberes Holzbrett geschoben werden, auf dem man ihn in die Halle tragen konnte. Hannes hielt beim Arbeiten die Luft an, aber schließlich lag der Kuchen auf dem Brett und war zum Glück nicht zerbrochen.
»Noël, hm hm, Noël, lala«, sang Pierre und betrachtete stolzsein Werk. »Noël, Noël …«
»Noël, Noël«, hörten sie plötzlich zwei fremde Stimmen.
Hannes drehte sich erschrocken zur Tür um, die nach draußen in den Küchengarten führte, und strahlte dann über das ganze Gesicht.
»Gottfried!«, rief er und rannte auf den Spielmann zu. Der stand in einem Wirbel aus Kälte und Schneeflocken breit grinsend in der Tür und klopfte sich den Schnee aus dem Umhang. Auch die anderen Küchenjungen und Gehilfen liefen lachend zu ihm.
»Wer ist das?«, fragte Pierre aufgebracht, weil alle mit ihrer Arbeit aufhörten. Er schnappte sich einen Holzlöffel und schwang ihn bedrohlich in Richtung Gottfried. »’inaus aus meine Küche!«
»Wer ist das?«, fragte Gottfried und zeigte mit spitzem Finger auf Pierre. »Alberich, der wütende Elf?«
Hannes und die anderen mussten sich ein Grinsen verkneifen. Alberich war der König der Zwerge und Elfen, die Geschichten über ihn kannten sie alle. Und Pierre |12| sah wirklich ein bisschen so aus wie ein kleiner Elf mit großen Ohren.
Die beiden standen sich gegenüber und musterten sich von Kopf bis Fuß. Der kleine, quirlige Pierre reckte das Kinn in die Luft, stützte die Arme in die Seiten und machte ein entrüstetes Gesicht. Gottfried war über einen Kopf größer als er und grinste auf ihn hinunter.
Hannes sagte schnell: »Das ist Pierre, der Koch des Grafen Guy de Vitry.«
»Ah! Ein französischer Koch!« Gottfried machte eine vollendete Verbeugung.
Doch da riss Pierre die Augen auf und wedelte mit seinem Löffel über Gottfrieds
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