2017 - Das Kind und der Pflanzenvater
Zähne klapperten, und sie kämpfte verzweifelt gegen den Fluchtimpuls an. Stocksteif stand sie da. „Darla, auf mein Zeichen schießen wir, was das Zeug hält - du nach unten, ich auf die Schwärme!"
Dankbar hörte Darla Mondras Stimme. Der hysterische Moment verging, und sie beruhigte sich. Sie nickte, „Ich bin bereit." Und in Gedanken fügte sie hinzu: Ich mach' euch fertig, bevor ihr an mich rankommt!
Doch da sprangen auf einmal die Translatoren an ihren Gürteln an, erstaunlicherweise ohne Funktionsschwierigkeiten. Die Geräte übersetzten aus dem Frendo-Prom die Worte einer fremden Stimme: „Rührt euch nicht!"
Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich ein Tharoidoner vor den zwei Frauen.
7.
Der Wald und der Alte
Die beiden Frauen erschraken fast zu Tode, obwohl der Tharoidoner alt und gebeugt war und sich auf einen Stock stützte. Früher war er für tharoidonische Verhältnisse sicher eine beachtliche Erscheinung gewesen. Er war fast eineinhalb Meter groß. Jetzt war seine Haut dunkelblau und faltig, das Haar schwarz und glatt. Seine graugesprenkelten Augen blickten gütig.
Wie hatte sich der alte Mann so lautlos nähern können? Von woher war er gekommen, wieso hatten sie ihn nicht schon eher bemerkt?
Der Tharoidoner gab ihnen Handzeichen, die Waffen zu senken. Die fliegenden Schwärme verharrten, ebenso die Jäger am Boden.
Der Alte schien dann in sich zu versinken, denn er schloß halb die Augen und regte sich nicht. Die beiden Frauen wagten kaum zu atmen.
Das schrille, aggressive Summen der Schwärme wurde auf einmal leiser. Die Insekten nahmen Kurs auf den Alten, schwebten vor ihm auf und ab. Das Summen ging in eine Art Melodie über. Es war deutlich, daß zwischen ihnen eine Art Kommunikation stattfand.
Dann stiegen die fliegenden Insekten plötzlich hoch und zogen ab. Ebenso verschwanden mit eiligem Rascheln die Insekten auf dem Boden im Gebüsch.
Darla japste auf, als der Boden rund um ihre und Mondras Füße plötzlich in Bewegung geriet und Tausende kleiner brauner Käfer davonwimmelten. Sie hatten sich zwischen den kleinen Steinen versteckt gehalten, keine der Frauen hatte sie bemerkt - möglicherweise die dritte Angriffswelle.
Die Medikerin machte ein Gesicht, als ob sie sich jeden Moment übergeben müßte.
Beide Frauen steckten die Waffen ein.
Der Tharoidoner öffnete die Augen. „Ich wußte nicht, ob es funktioniert", sprach er. „Die M'Hauny waren sehr wütend. Es hätte nicht viel gefehlt, und wir wären alle verloren gewesen."
„Danke", hauchte Mondra. „Ich weiß nicht, wie wir dir danken sollen ..."
„Das ist nicht nötig", unterbrach der Alte. Er hob die linke Hand, und die beiden Frauen machten es ihm nach. Nacheinander berührte er kurz ihre Handflächen mit seiner. „Ich bin Yhata-Satnaky, ehemals oberster Arystischer Mönch und eigentlich ziemlich müde."
Die Frauen stellten sich vor, und Mondra erklärte den Grund ihrer Anwesenheit. Der Mönch hörte aufmerksam zu. „Ich will dich nicht maßregeln", sagte er schließlich, „aber du hättest Arystes' Wunsch respektieren müssen. Mit eurem Eindringen habt ihr das elementarste aller Gesetze des Waldes gebrochen."
„Aber wir wollten nur nach meinem Sohn suchen, keine Geheimnisse ergründen", antwortete Mondra. „Warum hat Arystes sich denn nicht gezeigt?"
„Aber das hat er." Yhata-Satnaky breitete die Arme aus. „Dies ist Arystes. Der ganze Wald ist sein Organismus, das alles ist Arystes. Würde es dir gefallen, wenn jemand ungefragt in deinen Körper eindringen würde?"
Die Frauen machten betroffene Gesichter. „Nein", gestand Mondra. „Ich ... Es tut mir unendlich leid. Ich hielt es mehr für eine Metapher ..."
„Dir ist verziehen worden, sonst wäre ich nicht rechtzeitig eingetroffen", sprach der Uralte. „Es ist nicht sehr einfach, die Komplexität eines Pflanzenvaters zu erfassen. Selbst wir Mönche und Nonnen wissen nur das, was er uns mitteilt. Wenn der Wind durch den Wald singt, so ist das seine Stimme. Sein Blütenstaub vermittelt Botschaften an die Tiere und Pflanzen, erkundet Veränderungen und trifft seine Entscheidungen."
„Das war ... auch Arystes?" flüsterte Darla. „Er hat uns stellenweise überall umgeben!"
„Ja, doch ist er nicht schnell. Manchmal dauert es Tage, bis Arystes auf eine Veränderung reagieren kann. Er ist ein langsamer Denker und Philosoph, der nicht an den schnellebigen Belangen des Alltags interessiert ist. Früher hat Arystes seinen
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