202 - Unter schwarzer Flagge
alledem hatte er den grässlichen Albtraum noch nicht verdaut.
Er warf einen Blick in die Bucht. Die Wanky war ausgelaufen, die Fischerboote unterwegs. Zwei Dutzend Kerle waren in den Wanten der Schelm zugange, um die Segel zu setzen. Kommandos wehten zu ihnen herüber. An Deck der Brigg war allerhand los.
»Während du hier selig geschlummert hast, habe ich in die Runde geschnuppert.« Rulfan deutete auf einen Seesack, der neben ihm lag. »Darin kannst du deine Sachen verstauen.«
»Und warum diese Maskerade?« Matt knotete die weite Hose zu und schlüpfte in die Stulpenstiefel. Dann stopfte er seine grün-rote Kombi aus synthetischer Spinnenseide in den Sack und warf nach Rulfans aufforderndem Blick auch seine Laserwaffe hinterher.
Der Albino drückte ihm einen schartigen Degen in die Hand. »Es wird leichter anzuheuern, wenn wir wenigstens wie echte Seebären aussehen«, erklärte er. »Lyz meint, die Schelm brauche dringend Leute. Beim letzten Sturm sind einige Männer über Bord gegangen…«
Rulfan warf sich den Seesack über.
Sie eilten in Richtung Kai. Chira schloss sich ihnen an.
Matt erinnerte sich nur ungern an seine erste Atlantikfahrt – und an die Stürme noch weniger gern. Es hatte lange gedauert, bis er sich an das Schwanken gewöhnt hatte. »Und wohin geht die Reise?«
»Nach Madagaskar!« Rulfan bleckte die Zähne. »Besser hätten wir es nicht treffen können.«
Matt konnte es kaum fassen. Madagaskar lag vor der afrikanischen Südküste. Von dort aus war es nur noch ein Katzensprung. Er wog den Degen in der Hand. Als sie das letzte Haus vor dem Kai erreichten, begutachtete er sich in einer Fensterscheibe. Mit dem roten Stirnband sah er wie ein Pirat der Karibik aus. Nur Johnny Depps Bärtchen fehlte noch.
»Was hast du in den letzten Stunden getrieben?«
Rulfan seufzte. »Nicht das, was du denkst.« Er deutete hinter sich. »Das Essen war gut; das Bett auch. Ganz zu schweigen von Lyz – aber der Spaß war schon zu Ende, bevor er angefangen hatte. Als ich hörte, was sie wusste, wurde mir klar, dass wir uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen dürfen.«
Sie hatten die Hafenmauer nun erreicht. An einem der Landungsstege verhandelten einige Männer mit zwei Offizieren der Schelm, die kurz zuvor mit einigen Ruderern angelegt hatten. Offenbar hatte nicht nur Rulfan gehört, dass es hier eine Möglichkeit gab, das Ende der Welt gegen den Rest derselben einzutauschen.
Die Männer wirkten wie Seeleute – und wie Kinder dieser Zeit: Sie hatten ausnahmslos schulterlanges, verfilztes und ungewaschenes Haar. Ihre Zähne waren schief, angefault oder nicht vorhanden. Ihre Kleidung spottete jeder Beschreibung, die Absätze ihrer halbhohen Stiefel waren schief gelatscht.
Obwohl sie keine angenehmen Düfte verbreiteten und die Schelm -Offiziere in ihrer Gegenwart nur durch den Mund atmeten, waren sie exakt das Material, aus dem die Seefahrer dieser Zeit gemacht waren. Einen der Männer hatte Matt an Abend zuvor im Blayk Svoan gesehen: Long John Silver.
»Nicht gerade Vertrauen erweckende Typen«, raunte Rulfan.
»Wer arm ist, darf bekanntlich nicht wählerisch sein.« Matt schaute sich die Bewerber etwas genauer an.
Sie waren, von einer Ausnahme abgesehen, jünger als er.
Long John Silver mochte Ende vierzig sein. In seiner dunklen Mähne zeigten sich schon graue Strähnen. Er trug einen Dreispitz, als wäre er etwas Besseres. Sein Blick war wach, seine Zähne gepflegter als die Ruinen seiner Gefährten. Sogar seine Kleidung war relativ sauber. Sein Blick zeigte eine gewisse Bauernschläue.
Vielleicht war er ein Ex-Maat, den irgendwas aus der Bahn und unter den Abschaum geworfen hatte. Seinem Namen nach – er nannte sich Slodder – war er vermutlich nicht der gleichen Abstammung wie die meisten Jackos auf diesem Kontinent.
Dann hörte Matt ihn die gleiche kehlige Sprache sprechen wie die Offiziere. Er beherrschte sie fließend. Dies brachte ihm Sympathien ein: Er nahm bei den zerlumpten Kerlen im Ruderboot Platz.
Dann wandten die Offiziere sich Matt und Rulfan zu.
»Ich bin Marinus Vanduyn, Erster Offizier und Steuermann der Schelm«, sagte der lange Blonde mit den großen Zähnen und den vielen Sommersprossen. »Wer heißt ihr?«
Matt ritt der Schalk. Wenn er schon in Johnny Depps Rolle schlüpfen musste, dann auch richtig.
»Matt Sparrow.« Matt verbeugte sich und deutete mit dem Kinn auf den verdutzten Rulfan. »Das ist mein Freund Rulf Barbossa. Wir suchen eine Heuer. Wir wollen
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