2020 - Die Lichtgestalt
Gegenspieler davonläuft und du niemals auch nur auf die Reservebank der ersten Jugendmannschaft kommen wirst."
Der Trainer deutete auf die beeindruckende Silhouette des Magellan-Stadions, die sich hinter den Rasenplätzen der Jugendabteilung des Vereins abzeichnete wie eine bedrohliche Trutzburg. „Dann hast du in der C-Jugend von Nordstern Terrania nichts zu suchen!"
Fresai richtete sich auf und drehte sich zu den anderen Mannschaftsmitgliedern um. „Schluß für heute!" rief er. „Auslaufen, und dann unter die Dusche!" Leichtfüßig lief der Trainer quer über den Platz zu den anderen Jugendspielern.
Trotzig sah Falo ihm nach. Er zögerte kurz, sah zu den Vereinsgebäuden hinüber. Hinter den unscheinbaren Fassaden warteten hochmoderne Einrichtungen auf ihn. Keine Schallduschen, sondern richtige altmodische Duschen, aus deren Duschköpfen warmes Wasser spritzte.
Entspannungsbecken, in denen die verkrampfte Muskulatur sich lockerte. Massagetische, in denen speziell programmierte Roboter Wunder wirkten.
Er war viel gelaufen an diesem Nachmittag, für seine Verhältnisse sehr viel, hatte versucht, die Anweisungen des Trainers umzusetzen. Und das, obwohl ihn in der vergangenen Woche wieder eine leichte Infektion geschwächt hatte. Alles in ihm sehnte sich nun danach, sich in ein Becken mit warmem Wasser gleiten zu lassen, das die Schmerzen in seinen Muskeln allmählich auflöste und eine wohlige Müdigkeit erzeugte. Und dann abwechselnd heiß und kalt zu duschen, bis wieder Leben in seine Haut, seinen Körper kam.
Dann schüttelte er den Kopf. „Keine Kondition", murmelte er zornig. Er trabte los, zum Rand des Spielfelds, aber nicht zum Vereinsgebäude, sondern zur anderen Seite, zur Aschenbahn. „Keine Kondition", wiederholte er. Zwölfeinhalb Runden, das waren fünf Kilometer.
Nach jedem Training würde er nun diese zwölfeinhalb Runden laufen. Zusätzlich. Fünf Kilometer mehr als seine Mannschaftskameraden. Und wenn er sie problemlos bewältigte, würde er mit dem Konditionstrainer sprechen und sich ein Programm ausarbeiten lassen, mit dem er gezielt seine Kondition verbessern konnte.
Bei den ersten Schritten tat ihm jeder Knochen, jeder Muskel weh. Die Luft in seinen Lungen brannte wie Feuer. Schweiß tropfte von seiner Stirn und ließ die Augen tränen.
Doch immer, wenn er auf seinen einsamen Runden die Kurve passiert hatte und wieder das Magellan-Stadion sah, gab es ihm die Kraft, auch die nächsten vierhundert Meter zu überstehen.
1290 NGZ
Der Gang war zwar schwach beleuchtet, kam Falo jedoch so dunkel vor wie ein Grab. Für ihn gab es in diesen Katakomben nur ein einziges Licht.
Das viereckige am Ende des Ganges, das winzig klein war, aber so hell strahlte wie kein anderes, das er bislang gesehen hatte.
Das Licht der Verheißung.
Unwillkürlich erinnerte er sich an die Geschichte der alten Ägypter, die sie in der Schule gerade durchgenommen hatten. An die Pharaonen, die die Pyramiden errichten ließen, um sich in ihnen bestatten zu lassen. Wenn die Angehörigen des Trauerzugs nach langem Aufenthalt die dunklen Gänge im Inneren der Pyramide verließen, kam ihnen das grelle Wüstenlicht noch viel heller vor als sonst. Damit wollten die Herrscher ihren Untertanen verdeutlichen, daß sie nach ihrem Tod wiedergeboren worden waren.
Nach dem Abstieg in die Dunkelheit kam der Aufstieg ans Licht, bei den Lebenden wie bei den Toten.
Falo stand zwar nicht vor einer Wiedergeburt, aber immerhin vor einer Art zweiten Geburt.
Zumindest unmittelbar vor dem Erreichen eines Ziels, auf das er seit acht Jahren hinarbeitete. Vor dem Abschluß einer weiteren Etappe auf seinem Weg, der damit allerdings noch längst nicht zu Ende war.
Er legte die Hand auf die Brust, fühlte den kühlen Stoff des Trikots. Eines echten Trikots von Nordstern Terrania, keiner Replik, wie man sie in allen Souvenirläden kaufen konnte. Saugfähige Mikrofasern, die auch nach einhundert Spielminuten noch so kühl und trocken waren wie vor dem Warmmachen. Schmutzabweisende Oberflächenbeschichtungen, an denen kein Grashalm, kein Lehmklümpchen haftete.
Falo schaute an seinem Körper hinab, glaubte das Flimmern der Prallfeldpolster zu sehen, das seine Beine schützte. Er trug die volle Montur, mit der auch die Spieler der ersten Mannschaft bei einem richtigen Match auf den Platz gingen.
Aber denen zittern bestimmt nicht dermaßen die Beine! dachte er, während das helle Viereck vor ihm unendlich langsam größer zu werden
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