204 - An Afras Ufern
Unterschlupfes türmte sich knisternder Sand. Der Sturm brüllte durch die anbrechende Nacht, und Phillis hoffte, dass sie ihren Liebsten finden würde.
***
Kisaayo
Rulfan saß auf dem sandigen Boden der kleinen Zelle, in der sie die Nacht verbracht hatten. Er knotete die beiden Seile, mit denen Chira gefesselt gewesen war, zu einer langen Leine zusammen. Das Lederband um ihre Schnauze hatte er ihr nicht abnehmen dürfen: »Entweder bleibt der Rachen geschlossen, oder wir nehmen dir das Tier ab!«, hatte der Vultuurkopf ihn gewarnt.
Chira legte ihren mächtigen Schädel auf Rulfans Oberschenkel. Aus feuchten Augen schaute sie ihn an und winselte leise. Der Albino kraulte ihr schwarzes Nackenfell. Er mochte gar nicht daran denken, was mit seiner Lupa geschehen würde, wenn man ihn und Matt hinrichtete. Ihre einzige Hoffnung war nun Wanja: Ob es ihm gelingen würde, das Tribunal zu beschwichtigen?
Rulfan seufzte. Sein Blick wanderte zu dem kleinen schwarzen Mann, wegen dem Matt die Schlägerei auf dem Marktplatz angefangen hatte. Inzwischen kannten sie seinen Namen: Tashoo nannte er sich. Er hockte eine Armlänge von Rulfan entfernt neben Matt, der eifrig mit dem Zeigefinger in den Sand des Zellenbodens malte. Es war wirklich erstaunlich, wie sehr der Alte Ohnzung ähnelte. Wie er, trug auch Tashoo eine Perlmutttätowierung am Hals. Jetzt schüttelte er den Kopf und veränderte etwas an Matts Zeichnung. »Da! Da wir sind!«, rief er aufgeregt.
Matthew riss die Augenbrauen hoch. »Diese verfluchten Kasanjas! Wir sind gar nicht an der Nordspitze des Horns!«
Rulfan horchte auf. Er beugte sich über die Zeichnung: Ein Kreis für den Victoriasee, daneben ein Punkt für den Kilimandscharo und noch weiter rechts ein zweiter für Mombasa, durch den die afrikanische Küstenlinie führte.
Tashoos Finger tippte auf ein Kreuz, das er gemalt hatte. Es lag im Süden von Somalia.
»Wie weit ist es von hier bis zur Grenze von Kenyaa?«, wollte Matthew wissen.
»Oh, schwer zu sagen!« Tashoo wischte die alte Zeichnung weg und begann eine Neue. »Hier Kisaayo! Im Osten das Große Wasser. Im Norden und Westen die Weiße Wüste. Im Süden hungriger Pilz.«
Entgeistert schauten Rulfan und Matt sich an. »Hungriger Pilz! Welch treffender Name«, knurrte der Albino.
»Schau hier!« Tashoo riss ihn aus seinen Gedanken. Matt konzentrierte sich wieder auf dessen Zeichnung. Wie ein langes Band zog sich die Wüste nach Westen bis an die Grenze von Kenia. »Wanja meinte, bis zum nächsten Hafen brauchen wir Wochen«, überlegte er laut. »Also bleibt nur die Weiße Wüste! Wie lange brauchen wir, wenn wir diesen Weg nehmen?« Matt zeigte auf das Band, das die Wüste darstellen sollte. Erwartungsvoll schauten die Gefährten den Alten an.
Tashoos Gesicht verfinsterte sich. Er wich ihrem Blick aus.
»Zu gefährlich«, flüsterte er. »Viel Sonne, viel weißer Sand, viel Sturm und hungrige Tiere! Nix für Fremde!« Es klang fast ärgerlich, wie er es sagte. Seine Finger fegten über den Sand zu seinen Füßen, bis eine glatte Mulde entstand. Dann rappelte er sich umständlich auf, ging zu einer Ecke der Zelle und setzte sich wieder. Immer noch vermied er es, die beiden Männer anzusehen. Seine Augen starrten ins Leere.
Matt wechselte mit Rulfan einen viel sagenden Blick. Beide waren sich einig: Tashoo wollte nicht, dass sie den Weg durch die Wüste nahmen! Und sicherlich nicht nur, weil er gefährlich war. Es war aber auch deutlich erkennbar, dass er sie im Moment nicht über seine eigentlichen Gründe aufklären würde.
Matt hob die Schultern. »Wir reden mit Wanja darüber!«
»Ja, falls er kommt und uns hier rausholt!«, stimmte ihm Rulfan zu.
Matt grinste. »Falls nicht, holen wir uns selbst hier raus!« Er klopfte mit einer Hand auf die leichte Wölbung im Rücken seiner Jacke: den Laserblaster! Dabei fiel ihm Ohnzungs Buch ein. Er hatte es völlig vergessen! Sein Gesicht hellte sich auf und er öffnete die Jacke. Während er das Buch herausholte, ging er hinüber zu Tashoo. Er wickelte das Buch aus dem öligen Tuch und reichte es ihm. »Kannst du mir sagen, was da steht?«
Zögernd nahm es der Alte. Er blätterte darin herum. Nach einer Weile weiteten sich seine Augen. Er änderte seine Sitzposition und hielt die Seiten in das einfallende Morgenlicht des Fensters. Erregt blätterte er zwei, drei Seiten zurück und las weiter. Offensichtlich verstand er das Geschriebene.
Matthew wurde langsam nervös. »Was steht da?«
Statt
Weitere Kostenlose Bücher