204 - An Afras Ufern
zu antworten, flüsterte Tashoo heiser: »Wo habt ihr das gefunden?«
»Ein Matrose, der mit uns auf dem Schiff war, gab es mir, bevor er starb.« Matthews Stimme klang belegt.
Tashoo ließ das Buch sinken. Seine braunen Augen glänzten feucht. »Wie ist er gestorben?«
»Er ist verblutet«, antwortete Matt, »durch eine Wunde in seinem Bauch. Wie es dazu kam, wissen wir nicht!«
Der Alte strich sich durch sein graues Haar. »Also tot ist er! Heynum ist tot!«, stammelte er.
»Heynum?« Rulfan durchquerte die Zelle und ging vor Tashoo in die Hocke. »Hieß er Heynum, der das Buch geschrieben hat?«
Tashoo nickte. »Er ist Sohn von Stammesführer der Dankar! Wollte suchen die Beine der Efranten. Nie wieder heimgekehrt ist er.« Der Alte räusperte sich. »Er schreibt, Händler ihn verschleppt. Zunge haben sie ihm abgeschnitten, damit er nie wieder spricht ein Wort…« Tashoo brach ab. Er schlug mit seiner flachen Hand auf das Buch. Wieder und wieder. »Mein Neffe er war. Heynum!« Der Alte seufzte und stöhnte. Er begann seinen Körper hin und her zu wiegen, und sein Stöhnen wurde zu einem Summen.
So wenig Rulfan und Matt etwas mit Dankar oder der Suche nach Efrantenbeinen anfangen konnten, so sehr interessierte sie, was noch in dem Buch stand. Aber als sie den Alten in seiner Trauer beobachteten, ahnten sie, dass es Stunden dauern würde, bis er so weit war, weiter lesen zu können.
In diesem Moment wurde hinter ihnen die Tür aufgerissen.
Einige Wachen erschienen mit Wanja. Er grinste die Gefährten an. »Ihr seid frei! Gegen eine Kaution von zwei Tagen eurer Aufenthaltsgenehmigung!«
Matthew sprang auf die Beine. »Sehr gut! Lass uns hier verschwinden!«
Einer der Wächter vertrat ihm den Weg. »Nicht so schnell!«, bremste er Matts Freiheitsdrang. »Erst werdet ihr beiden untersucht. Reine Routine.« Er grinste hinterhältig dabei.
***
Gleißendes Sonnenlicht fiel durch das kleine Fenster der Krankenstation des Gefängnisses. Rulfan hob schützend die Hand vor seine Augen. Er und Matt lagen auf Pritschen, die aussahen wie alte Feldbetten. Die weiße Ablage unter dem Fenster war übersät von Medikamentenfläschchen, Verbandsmaterial und Operationsbesteck.
Rulfan umklammerte die Leine, die er Chira um den Hals gelegt hatte. Die Lupa lag neben seinem Bett auf den kalten Steinfliesen und beobachtete den Arzt, der Matt Drax gerade untersuchte. Er hatte sich bis auf die Unterhose ausziehen müssen. Der Albino seufzte. Die Kasanjas ließen wirklich keine Gelegenheit aus, ihre Gäste zu demütigen. Wenigstens durfte er sich hinter einer Trennwand ausziehen; so hatte er den Laserblaster unter dem Kleiderhaufen verbergen können.
»Ich warte vor dem Gefängnis auf euch!«, hatte Wanja ihnen hinterher gerufen, als man sie aus der Zelle führte. Sie hatten nicht mal Gelegenheit ihn zu fragen, was aus Tashoo wurde, den sie in der Zelle zurücklassen mussten. Rulfan gelang es gerade noch, dem Alten das Tagebuch abzunehmen, bevor die Wächter sie aus der Zelle stießen.
Jetzt trat der Arzt an Rulfans Feldbett. Chira knurrte leise.
»Ruhig, Chira. Alles in Ordnung!«, beruhigte der Albino seine Lupa. Geblendet vom Sonnenlicht, fiel es ihm schwer, das Gesicht des Arztes zu erkennen. Er sah nur die dunklen Umrisse seiner schlanken Gestalt. Und er hörte seine Stimme.
Sie klang verwaschen und weit weg. »Ich werde dir jetzt Blut abnehmen.«
»Was?« Rulfan sah glänzendes Metall in der Hand des Medikus. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können: Es war keine Spritze, es war ein Dolch! Blitzschnell sprang er von seiner Pritsche. »Was willst du von mir?«
»Dein Blut!«, schrie der Arzt. »Und das deines Freundes!«
Rulfan umkreiste den Mann, bis die Sonne ihn nicht mehr blendete. Erst jetzt fiel ihm auf, dass das Licht nicht von der Sonne kam, sondern von einer Petroleumlampe, die an einer Kette von der Decke hing. Sie pendelte hin und her und warf ein gespenstisches Licht in den Raum. Neben ihm türmten sich schmale Schlafkojen übereinander. Auf der anderen Seite sah er vier Stühle und einen Tisch, auf dem eine aufgeklappte Ledertasche stand.
Die Kajüte!, schoss es ihm durch den Kopf. Ich bin in der Offizierskajüte der Schelm! Gleichzeitig bemerkte er, dass der Boden unter seinen Füßen schwankte. Das Schiff schien schweren Seegang zu haben.
Rulfan blickte zu dem Mann mit dem Dolch. Es war Doktor Nikemdo. Aus rot unterlaufenen Augen stierte er den Albino an. Schweißperlen bedeckten
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