204 - An Afras Ufern
seine Stirn. Er zitterte am ganzen Körper. Sein heller Leinenanzug strotzte vor Dreck.
»Was willst du mit meinem Blut?« Rulfan ließ den Medikus nicht aus den Augen.
»Ihr seid die Einzigen, die noch gesund sind. Ihr habt die Pest an Bord gebracht!«, krächzte Nikemdo. Er stolperte auf Rulfan zu.
Rulfan wollte ihn aufhalten. Er schnappte sich einen Stuhl und hielt ihn schützend vor sich. In diesem Moment kam von hinten ein knarrendes Geräusch. Der Albino wurde rechts und links an den Schultern gepackt. Gleichzeitig trat man ihm in die Kniekehlen. Den Stuhl immer noch umklammert, fiel er auf den Rücken. Verwirrt schaute er um sich: Zwei junge Offiziere knieten neben ihm. Es waren Leeuwemoed und Duivemest. Sie atmeten schwer. Auch ihre Augen waren blutunterlaufen. Der saure Gestank ihres Schweißes kroch in Rulfans Nase.
»Verflucht, was soll das! Lasst mich los!«
Leeuwemoeds bleiches Gesicht beugte sich dicht über ihn.
Trockenes Blut klebte an seinen Nasenlöchern. Er glotzte Rulfan an, als ob er ihn zum ersten Mal sähe. »Wer bist du? Nenn mir deinen Namen!«
Auf der anderen Seite schaute Duivemest seinen Kameraden besorgt an. »Mach jetzt nicht schlapp, Leeuwemoed! Das ist Rulf Barbossa, der Steuermann«, raunte er ihm zu.
»Er ist einer der Virusträger!«, kam von oben die Stimme Nikemdos. »Mit seinem Blut kann ich uns alle heilen! Macht seinen Arm frei!« Der Albino sah, wie der Doktor seinen Dolch weglegte und eine Spritze aus der Ledertasche holte.
Jetzt oder nie!, dachte Rulfan und knallte seine Stirn in das Gesicht von Leeuwemoed. Der Offizier heulte auf und fiel nach hinten. Duivemest fluchte. Er holte aus, um dem Albino einen Knüppel über den Schädel zu ziehen. Aber Rulfan war schneller. Er rammte Duivemest den Stuhl gegen die Brust und sprang auf die Füße. Duivemest wischte den Stuhl zur Seite und trat dem Albino gegen die Knie. Rulfan stöhnte auf. Der Schmerz machte ihn noch wütender. Er bückte sich kurz und schlug Duivemest mit einem Kinnhaken nieder.
Rulfan beugte sich über den Ohnmächtigen. Er wusste im selben Augenblick, dass das ein Fehler war: Hinter sich hörte er Nikemdo keuchen. Der Doktor hielt wieder den Dolch in seiner erhobenen Hand. Blitzschnell rollte sich Rulfan neben den besinnungslosen Duivemest. Er sah die glänzende Klinge herabsausen.
Mit einem Mal stob Chira aus einer dunklen Ecke der Kajüte. Ihre gefletschten Zähne verbissen sich in die Hand des Dolchträgers. Das Messer entglitt Nikemdos Hand. Schreiend fiel er zur Seite. Als Rulfan sich aufsetzte, hing die Schnauze seiner Lupa an der Kehle des Doktors. »Gut gemacht, Chira! Komm her zu mir!«
Chira gehorchte sofort. Schwanzwedelnd kam sie zu Rulfan und ließ sich von ihm streicheln.
Nikemdo blieb röchelnd am Boden liegen. Sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt. Blutiger Schaum trat vor seinen Mund. Rulfan kroch zu ihm und legte ihm eine Decke unter den Nacken. Der Medikus hatte die Augen verdreht: Seine weißen Augäpfel glotzten an die Decke.
War es wirklich die Pest, die die Männer der Schelm dahinraffte? Rulfan wusste es nicht. Er wusste nur, dass die Krankheit einen Matrosen nach dem anderen befiel. Außer Matt und ihn selbst. Sie hatten beide ab und zu leichte Kopfschmerzen, ansonsten aber keine Beschwerden. Kein Wunder, dass die anderen misstrauisch wurden.
Rulfan nahm eine weitere Decke und legte sie über den zuckenden Körper des Doktors. Mehr konnte er nicht für ihn tun.
Seufzend machte er sich auf, an Deck nach Matt Drax zu suchen. Chira lief ihm voraus. Auch sie zeigte keine Symptome der Krankheit. Als Welpe hatte er sie im Bunker von Salisbury gegen einige Viruserkrankungen impfen lassen; lag es vielleicht daran?
Rulfan stutzte. Natürlich, auch er als Bunkerbewohner war geimpft. Und Matt hatte erzählt, dass Präventivimpfungen üblich gewesen waren in der Welt vor »Christopher-Floyd«.
Das musste des Rätsels Lösung sein!
Er hastete die Stiegen zum Deck empor. Draußen brüllte der Wind. Wasser peitschte über die Reling. Rulfan musste aufpassen, dass er nicht auf den nassen Planken ausglitt. Er wollte zur Mitte des Schiffes. Matt hatte dort für ihn das Ruder übernommen.
Während er sich gegen den Wind entlang der Reling vorwärts arbeitete, nahm er backbord eine Bewegung wahr: Auf der anderen Seite des Schiffes flatterte ein helles Gewand.
Rulfan löste sich von der Reling und taumelte auf einen Ballen aus Segeltuch und Netzen zu, die mit dicken Seilen zu
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