2046 - Neun Stunden zur Ewigkeit
und tat, als interessiere ihn nun nichts mehr, was um ihn vor sich ging. Die schrullig anmutende Geste hätte sich der Chronist von ES direkt abschauen können.
Atlan zog sich mit den anderen Zellaktivatorträgern sowie Fee Kellind und Tangens dem Falken in einen der an die Kommandozentrale grenzenden Tagungsräume zurück. „War es denn wirklich nötig, diesen Chronisten zu brüskieren?" fragte Dao Lin-H'ay gleich zu Beginn. „Er hat immerhin die Bereitschaft bekundet, uns zu unterstützen." ,„Ich glaube, das war schon in Ordnung", sagte Atlan leichthin. „Wichtiger ist, dass wir eine gemeinsame Linie gegenüber dem Chronisten finden.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir nichts als den Kym vorzuweisen - und eben keinen Kym-Jorier, wie ES von uns verlangt hat. Wir haben zwar das seltsame INSHARAM erreicht, dort Kontakt zu den Inzaila On da aufgenommen und Frieden mit den Evoesa geschlossen. Aber eigentlich stehen wir mit leeren Händen da. Was nun? Ich frage mich, wie es weitergehen soll."
„Das wird uns der Chronist von ES sagen", meinte Myles Kantor. Der Wissenschaftler wischte sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. „Seien wir nicht so naiv zu glauben, dass er uns die Arbeit abnehmen wird", sagte Atlan. „Der Chronist hat selbst gesagt, dass ES sich nicht selbst helfen kann. Und er ist ein Teil von ES, zumindest untrennbar mit der Superintelligenz verbunden. Wenn wir uns seine Unterstützung sichern wollen, müssen wir zumindest so tun, als hätten wir mit mehr Ergebnissen aufzuwarten, als wir tatsächlich haben."
„Den Chronisten hinterlistig täuschen?" wunderte sich Dao-Lin-H'ay. „Wie soll das gehen? Und vor allem: Was soll es uns bringen?"
„Das ist höhere Diplomatie", behauptete Ronald Tekener mit dem für ihn typischen Lächeln und fuhr seiner Gefährtin über die kurzen Haare im Nakken. „Es ist gewissermaßen ein Hasardspiel. Der Einsatz ist das Wissen des Chronisten. An dieses müssen wir herankommen. Wir müssen ihm sozusagen die Würmer aus der Nase ziehen. Atlan und ich, wir wissen, wie das geht."
„Und warum nicht einfach zur Wahrheit stehen und den Chronisten um Hilfe bitten?" schlug Dao-Lin-H'ay vor. „Das könnte ebenso ins Auge gehen", antwortete Ronald Tekener. „Atlan macht das schon."
Der Arkonide wechselte das Thema. Er sah Myles Kantor an. „Ich möchte, dass du dem Chronisten alles erzählst, was ihr über den Kym herausgefunden habt", bat er. „Das muss sich anhören, als hättet ihr das größte Rätsel des Universums gelöst. Du weißt schon, wie ich es meine, Myles. Zeig ihm notfalls irgendwelche Diagramme, Holoaufnahmen und sonstiges. Icho Tolot soll inzwischen die Untersuchungen allein fortsetzen."
„Und was ist mit mir?" fragte Tangens der Falke. „Für dich habe ich eine Spezialaufgabe", antwortete Atlan und lächelte kurz. Er wandte sich wieder an die anderen. „Zurück in die Kommandozentrale! Irgendwie müssen wir ja Rechenschaft über unsere bisherigen Erfolge ablegen."
In diesem Augenblick wandte sich Tek noch einmal an Atlan. „Was hältst du selbst eigentlich von den Aussagen des Chronisten?" fragte er den Arkoniden. „Er sagte ja immerhin auch aus, dass heute für ihn die Geschichte enden wird."
„Ich nehme fest an, dass das absolut ernst gemeint ist."
„Aber was genau ist damit gemeint?" rätselte Tekener. „Rechnet er wegen seiner Einmischung mit einer Absetzung durch ES von seinem Posten? Oder will er damit andeuten, dass er nicht an einen Erfolg unserer Mission glaubt?"
„Wohl kaum", antwortete Atlan, „denn ein Versagen würde auch das Ende der Menschheitsgeschichte bedeuten. Der Chronist hat diese Aussage aber lediglich auf sich bezogen."
„Ob unsere Mission ein Erfolg wird oder nicht?" Tekener verzog das Gesicht zu einem unbehaglichen Grinsen. „So interpretiere ich es: Die Geschichte des Chronisten von ES endet heute in jedem Fall. Bevor er abtritt, muss ich aber noch etwas herausfinden. Ich möchte erfahren, an wen er mich erinnert."
„Bist du, trotz deines vielgerühmten photographischen Gedächtnisses, noch immer nicht dahintergekommen, Atlan?" meinte Tekener mit einem leicht spöttischen Unterton. Dann verließ er mit den anderen den Besprechungsraum. Nur Tangens der Falke blieb zurück. „Was ist das für eine Spezialaufgabe, die du für mich hast?" erkundigte er sich. „Es geht um das seltsame Déjà vu, das ich im Zusammenhang mit dem Chronisten habe", antwortete Atlan. „Mir ist, als müsste ich ihn
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