2047 - Finale für die Nacht
dessen Verschwinden alles begann."
„Das ESTARTU-Schiff", stimmte Rue murmelnd zu. „Du hast Recht, Alef. Alles fing damit an, dass es durch die Stromschnelle verschwand ..."
„Wir sind verraten worden", meinte Aldee. „Von jenen, die wir für unsere Verbündeten und Freunde hielten."
„Wir Zyniker der NACHT haben das nie getan", sagte Rue. „Aber wir haben auch nichts gegen die SOL unternommen, selbst als sie Nacht Acht 3 mit den lebenswichtigen Recyclinganlagen stark beschädigt hat. Vielleicht war das unser größter Fehler. Aber sollte sie zu unseren Lebzeiten zurückkommen, könnten wir das Versäumte vielleicht nachholen." Er war manchmal um einiges fanatischer als sein Freund und Partner, der allerdings mehr direkte Verantwortung trug. Rue Kantasiak ließ sich leicht von Alef beeinflussen. „Es ist Zeit für die stündlichen Nachrichten", sagte Rue. „Stell die Hymne ab und ruf die Sendung auf!"
Er hätte es auch selbst tun können, aber an diesem Abend war ihm nicht danach. So überließ er es seinem Freund, mit einem einfachen Zuruf die Musik und die Lichter abzuschalten und gleichzeitig die Kommunikationswand zu aktivieren. Es dauerte eine Minute bis zum Beginn der Nachrichten, aber ein Text wies schon jetzt auf eine Sondermeldung hin. Rue Kantasiak zog sich der Magen zusammen. Er glaubte bereits, dass damit das gescheiterte Experiment in seiner Klasse gemeint sein sollte.
War der Schüler etwa schon gestorben? Oder wusste man bereits, was tatsächlich passiert war?
Aber es kam tatsächlich noch schlimmer. Eine Gruppe von sechs Mom'Serimern, so wurde bekannt gegeben, die mit Jetbooten an der Finstergrenze unterwegs gewesen waren, waren mitsamt ihren Booten von dem Medium außerhalb der NACHT verschluckt worden. Beobachter, die sich in der Nähe befanden, sagten übereinstimmend aus, die Jetboote hätten sich in ausreichendem Sicherheitsabstand zur Finstergrenze befunden.
Rue Kantasiak, nur kurz geschockt, zählte eins und eins zusammen. Es war nicht weit bis zu dem Schluss, dass sich die Finstergrenze erneut weiter in Richtung Zentrum der NACHT verschoben hatte. „ESTARTU", sagte er zu Alef Aldee, „hat ihre Diener tatsächlich verlassen. Sie wird nie zurückkehren und uns nie von unserem Dasein erlösen. Das Finale für die NACHT steht offenbar unmittelbar bevor. Wir sollten nun entsprechend handeln."
„Das war schon lange Zeit nötig", heizte Alef das Feuer an.
Crom Harkanvolter hatte die Nachricht schon vor ihrer Ausstrahlung erfahren. Er war so erschüttert wie kaum jemals in seinem Leben - das letzte Mal wohl, als seine geliebte Partnerin Yessim sich das Leben genommen hatte, um ihm zu helfen, wie sie gemeint hatte. Sie hatte ihn in tiefste Einsamkeit gestoßen, die nur durch das Auftauchen der SOL und den Kontakt mit jenen fremden Raumfahrern unterbrochen worden war, die tatsächlich in ESTARTUS Zeichen flogen.
Aus dem Traum, der Lord-Eunuch aller Mom'Serimer zu werden, war nichts geworden. Die Zyniker der NACHT lehnten ihn offen ab, und ihre Ablehnung wuchs ständig weiter an. Nur der Respekt vor den Überlieferungen und Traditionen hielt sie davon ab, ihn direkt anzugreifen und den Umsturz zu riskieren. Der in weiße Tücher gehüllte oberste aller Mom'Serimer trank etwas zu seiner Beruhigung. Dann ließ er Stap Crumero kommen, einen Eunuchen, der für ihn so etwas wie die Schnittstelle zu den Wissenschaftlern bedeutete. Stap war lange Zeit selbst Hyperphysiker und mit der Erforschung der Finstergrenze betraut gewesen, bevor er sich entschlossen hatte, schon Croms Vorgänger als Eunuch und Berater zu dienen.
Er trug wie alle Eunuchen eine rote Kombination mit einem schwarzen Umhang darüber. Sie waren die „Anführer" ihres Volkes und nur dem Lord-Eunuchen untergeordnet. Um nicht zu riskieren, dass ein plötzlicher Geschlechtswechsel ihre Entscheidungen beeinträchtigte, hatten sie sich operativ die entsprechenden Hormondrüsen entfernen lassen. So konnte es nicht mehr zum Ausbruch der Geschlechtlichkeit kommen.
Unter den Eunuchen und Indoktrinatos betrug das Verhältnis von Optimisten und Zynikern der NACHT etwa eins zu eins, mit leichtem Übergewicht der Optimisten. Crom Harkanvolter hatte allerdings schon manches Machtwort sprechen müssen, wenn es zwischen den beiden Lagern hart hergegangen war. Jetzt wusste er nicht mehr aus und ein. Alles, woran er geglaubt hatte, schien mit einemmal nichtig geworden zu sein. „Sag mir, Stap", wandte er sich an den Eunuchen, „was
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