2047 - Finale für die Nacht
Harkanvolter war innerlich vollkommen aufgewühlt. ESTARTU! schrie es in ihm. Warum kommst du in dieser bitteren Stunde nicht und hilfst uns? Seit vielen Generationen sind wir doch deine Diener. Aber der Lord-Eunuch hatte sich schnell wieder in der Gewalt. Er atmete tief durch. Auf ihm lastete die Verantwortung, und er glaubte zutiefst an die Rückkehr ESTARTUS, bevor hier alles zu Ende ginge.
Yessim, dachte er. Warum hast du mich verlassen?
Es war hier so unerträglich einsam ohne einen echten Freund. Crom wusste, dass er nie wieder einen wie Yessim finden würde, die Mutter ihres gemeinsamen Kindes, das sie hinter seinem Rücken in fremde Obhut gegeben hatte. Er hatte viel Zeit darauf verwendet, dieses Kind wiederzufinden, aber der Erfolg war ihm versagt geblieben. Wahrscheinlich, so dachte er inzwischen, waren seine Adoptiveltern kinderlos und gaben ihn nicht wieder heraus. Selbst ihm persönlich peinliche öffentliche Anfragen hatten kein Ergebnis gebracht. So war er extrem einsam auf dem Gipfel der Macht. Er hatte viele Berater, aber keine wirklichen Freunde. War dies der Preis für das höchste Amt?
Zweifel begannen seinen Verstand zu zersägen. Er versuchte, sie zurückzudrängen, aber die ließen es nicht zu, sondern wurden noch mächtiger.
Weshalb half ihnen ESTARTU jetzt nicht? Wieso tauchte nicht wenigstens die SOL wieder auf? War sie von den schrecklichen Mundänen aufgerieben und zerstört worden? Crom Harkanvolter war zum Lord Eunuchen seines Volkes geworden. Und er war mit dieser Aufgabe unsäglich allein.
3.
SOL
Auch wenn Roman Muel-Chen das Schiff über die SERT-Haube steuerte, war die Lage für die SOL vollständig aussichtslos. Die ersten tausend Mundänen-Raumer - vom zweihundert Meter durchmessenden Kriegsleichter bis zum dreitausend Meter durchmessenden Kriegsturm - hatten den Paratronschirm der SOL mit ihrem Beschuss bis an die Überlastungsgrenze getrieben. Das Hantelraumschiff floh vor ihnen, aber mehr als 35 Prozent der Lichtgeschwindigkeit ließ sich in der Auroch-Maxo-Dunkelwolke an fast keiner Stelle erreichen. Die einzige Hoffnung war, dass sich die SOL ihren Verfolgern so lange würde entziehen können, bis sie außerhalb der Wolke die erforderliche Eingangsgeschwindigkeit für das Hypertakt-Triebwerk aufbringen konnte.
Allerdings durchmaß die Dunkelwolke zwanzig Lichtstunden, und das bedeutete, dass die Mundänen in jedem Fall viel Zeit haben würden, sich an jedem beliebigen Austrittspunkt der SOL auf die Lauer zu legen. Das wiederum hieß, dass die SOL das Gebiet der Dunkelwolke kaum mehr aus eigener Kraft würde verlassen können. Vor ihr lauerten die Kriegstürme der Mundänen, und hinter ihr her war ein riesiger Pulk von Feindschiffen.
Immer wieder schlugen Treffer in den Paratron. Überschlagsenergien konnten im Zweifelsfall nicht mehr von der Carit-Hülle aufgefangen werden, sondern erreichten zu hundert Prozent die SOL.
Atlan ließ das Feuer aus den Transformkanonen eröffnen. Etliche Schiffe der Mundänen, vor allem die großen Kriegstürme vergingen in der Glut atomarer Explosionen, aber für sie kamen zahlreiche andere nach. Ein zweites Geschwader näherte sich von Backbord, ein drittes von Steuerbord. Die Transformkanonen konnten noch so viele Abschüsse erzielen und die Materie der Dunkelwolke in düstere, manchmal hell flackernde Glut versetzen. Über eines konnten sie nicht hinwegtäuschen: Die Gegner wurden immer mehr. Und die SOL schien am Ende zu sein. Welcher mundänische Heerführer auch immer auf der anderen Seite stehen mochte, er hatte bestimmt nicht die Absicht, das Hantelschiff nochmals entkommen zu lassen. „Wir schaffen das nicht!" rief Fee Kellind. „Die Übermacht ist zu groß! Wo immer wir die Dunkelwolke verlassen werden, werden wir auf Mundänen stoßen."
„Sie haben es nicht geschafft, uns mit dem ersten Feuerschlag auszuradieren", widersprach ihr Ronald Tekener. „Ich biete euch allen eine Wette an.
Ich wette, dass wir es hier heraus schaffen. Wer hält dagegen?"
„Tek, jetzt übertreib's doch bitte nicht", wurde er von Atlan ermahnt. „Wann denn? Ich denke, euch liegt etwas an eurem Schiff?"
„In Ordnung", sagte Fee Kellind, die im Augenblick ohnehin nichts tun konnte. Sie musste sich auf das Können ihrer Offiziere verlassen. „Und worum geht's?"
„Um unser Überleben natürlich. Nein, um einen Tanz mit dir in der Messe, wenn wir dies hier hinter uns haben."
Dao-Lin-H'ay hielt dem Smiler eine Hand vors Gesicht
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