2048 - Insel des Friedens
Verhandlungen wurden begonnen, weitere Delegationen werden bald aus allen Teilen der Doppelgalaxis eintreffen. Alashan und die dort geretteten Flüchtlinge haben den Grundstein gelegt, auf dem wir nun aufbauen müssen. Ziel ist, mit Tampa-Zophengorn die Basis zu schaffen, von der aus die weitere Zukunft neu gestaltet werden kann.
Aus: Manuale der Neuen Zeit - Direktor Zehn, Eismer Störmengord (Juli 1291 NGZ, das Jahr 1 der Neuen Zeit)
3.
18. Dezember 1303 NGZ
Vielleicht lag es an Tess' lebensfroher, aufgeweckter Natur, dass sie die entsetzliche Nachricht letztlich besser aufnahm und verkraftete als ich.
Vielleicht spielte auch ein tüchtiger Schuss Verdrängung mit hinein. Wahrscheinlich wollte sie ganz einfach nicht die Hoffnung aufgeben, die Erwartung, dass es im letzten Augenblick doch eine Heilungsmöglichkeit geben würde. Vielleicht ...
Ich jedenfalls war wie vor den Kopf gestoßen, erlebte alles nur in Trance. Aber es war Tess, die verhinderte, dass ich mich in das Schneckenhaus zurückzog, das so naheliegend und einladend bereitstand. Es entsprach nicht ihrer Art, im Selbstmitleid zu versinken, und die goldenen Fünkchen in ihren Augen blitzten energischer denn je.
Nur zögernd kehrte mein klares Denkvermögen zurück. Zwar dominierten weiterhin Unverständnis und die Frage nach dem Warum - aber es gab auch so etwas wie Trotz, den unbändigen Wunsch, dem Schicksal die Stirn zu bieten. Tess' Blick gab mir Kraft, und im gleichen Maß, wie sie mich auf diese Weise aufrichtete, konnte sie sich wiederum an mich lehnen und ihrerseits Kraft schöpfen. Nach vorne sehen, so schwer es auch fallen mag; sich auf das Jetzt konzentrieren und nicht daran denken, was morgen oder in, einigen Monaten sein wird. Bislang hatte Tess keines der Symptome gezeigt, die von den Monochrom-Mutanten in der Milchstraße her bekannt waren. Dass sie zu jener Gruppe gehörte, stand dagegen außer Zweifel, denn ihr monochromes Sehen war nicht zu leugnen.
Betretenes Schweigen folgte, nachdem Blo Rakane den übrigen Teilnehmern der Versammlung die Nachricht mitgeteilt hatte. Man vermied es, uns direkt in die Augen zu sehen, suchte nach Worten, ohne sie zu finden. Irgendwie wollte es mir bezeichnend erscheinen, dass es ausgerechnet - oder gerade? - Eismer war, der sich als erster fing, zu uns kam und uns wortlos umarmte. Wenn es überhaupt Zweifel gegeben hätte, dass der kleine Goldner unser Freund war jetzt wären sie in jedem Fall beseitigt gewesen.
Inzwischen rasten meine Gedanken, suchten nach einer Lösung, versuchten zu begreifen, was eigentlich nicht zu begreifen war - und unvermittelt dachte ich an die fünf anderen MonochromMutanten, die neben Tess in Alashan lebten. Sie waren zwischen vierzehn und achtundzwanzig Jahre alt, Nachkommen jener verfluchten Horrikos-Genlinie und als solche erst entdeckt worden, nachdem uns die Nachricht vom ersten Auftreten der Monochromen in der Milchstraße mitgeteilt worden war. Ähnlich wie Tess seinerzeit hatten ,die jungen Leute ihre paranormalen Kräfte zu verbergen versucht, nach ihrer „Entdeckung" jedoch mit uns gemeinsam das Training und die Schulung begonnen. Ängste und Ressentiments, wie sie aus der Milchstraße berichtet worden waren, gab es in Alashan nicht. Sieben Mutanten, Tess und mich mitgerechnet, waren gegenüber den 200.000 Bewohnern nicht der Rede wert. Im Gegenteil: Die informierten Kreise im Tower sprachen eher von dem Grundstock eines Mutantenkorps und sahen in unseren Kräften' die positiven Aspekte.
Auch die fünf anderen waren nun zum Tod verurteilt. Gias Anweisungen waren eindeutig, obwohl ich sie nur am Rande mitbekam: Die Tower-Psychologen würden es übernehmen, sie behutsam mit dieser Nachricht vertraut zu machen.
Stendal dachte inzwischen schon weiter; er rief aufgebracht: „Was ist mit ES? Kann die Superintelligenz nicht helfen? Oder - deutlicher formuliert: Ist es nicht sogar ihre Pflicht?"
Er sprach es nicht aus, aber er erinnerte nebenbei auch an die ES-Hinterlassenschaft, die zweifellos maßgeblich dafür verantwortlich war, dass Alashan inzwischen eine herausragende Stellung erlangt hatte und die Gesamtentwicklung in der Doppelgalaxis eine überaus positive gewesen war.
Vergleichbares mahnte er nun auch wegen der Monochrom-Mutanten an. „Bei der Zentrumspest, sind diese Entitäten amoralische Charakterschweine, die der Fürsorgepflicht des Starken für den Schwachen nicht nachkommen? Ist für sie nicht unterlassene Hilfeleistung auch
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