2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)
immer von Aussterben und Untergang begleitet. Es ereigneten sich mindestens fünf Massenaussterben, bei denen die globale Artenvielfalt plötzlich reduziert wurde: am 26. November sowie am 2., 12., 15. und 26. Dezember. Am 12. Dezember, vor 245 Millionen Jahren, wurden 96 Prozent der Arten ausgelöscht. Und am 26. Dezember, vor 65 Millionen Jahren, brachte das letzte große Aussterben das Ende der Dinosaurier mit sich. Doch nach jedem Massenaussterben erholte sich die biologische Artenvielfalt oder überstieg sogar ihr vorheriges Maximum.
Heute stehen wir am Rande eines sechsten Massenaussterbens. Doch dieses Mal werden wir sowohl kulturelle als auch biologische Vielfalt verlieren. Die Hälfte der Weltbevölkerung spricht eine von etwa 25 Sprachen. Von den restlichen 7.000 Sprachen wird zirka die Hälfte von jeweils weniger als 10.000 Menschen gesprochen.
Sprachen sterben aus, weil die Sprecher entweder aussterben oder, was häufiger geschieht, in eine andere Sprache wechseln und ihre Muttersprache innerhalb sehr weniger Generationen in Vergessenheit gerät.
Und mit ihrer Sprache vergeht auch ihre Kultur. Die Hauptursachen hierfür sind Globalisierung, Migration, moderne Kommunikation und manchmal auch Zwang.
Dass sich der Verlust der biokulturellen Vielfalt vor 2052 umkehren wird, erscheint unwahrscheinlich. Doch ich glaube, dass, während sich die biokulturelle Vielfalt verringert, an einem linguistischen Zweig am Rande der Krone des Lebensbaums eine andere, rapide Diversifizierung hervorbrechen wird. Die Sprache wird nicht Englisch oder Chinesisch sein, sondern eine erst kürzlich erfundene: Eine Computersprache wird die dritte Blütezeit auslösen.
Die dritte Blütezeit
Dies wird jedoch keine Computersprache sein, mit der Programmierer Software schreiben, sondern eine, mit der Computer ihre Programme selbst schreiben. Die Programme werden mit demselben evolutionären Algorithmus geschrieben werden, der zur biologischen und kulturellen Vielfalt führte.
Das zugrunde liegende Prinzip ist, dass man einem Computer ein Ziel und ein Initialprogramm geben kann. Dieses Programm kopiert er dann immer wieder und führt zufällige Veränderungen des Codes ein. Er testet die neue Generation der Programme, wählt das am besten funktionierende aus und verwirft die restlichen. Dieser Zyklus wird ständig wiederholt, bis ein Programm generiert wird, das dem Ziel befriedigend nahe kommt. Natürlich gibt es in der digitalen Evolution ebenso wenig ein ultimatives Ziel wie in der biologischen oder kulturellen Evolution. Die Programmauswahl wird vom jeweils vorherrschenden Anwendungsmarkt bestimmt werden.
Da sie effizienter sind, werden die von Computern geschriebenen Programme die von Menschen geschriebenen verdrängen und dann werden von Computern entwickelte Computer an die Stelle der von Menschen gebauten Rechner treten. Schließlich werden die Menschen nicht mehr ganz verstehen, wie Computer funktionieren. Bis 2052 werden Computer künstliche Intelligenz und sogar Bewusstsein entwickelt haben. Anfänglich werden sie noch von Menschen abhängig sein, die sie herstellen und mit Strom versorgen, doch auch dies kann in zunehmendem Maß von Computern übernommen werden. Die meisten Menschen werden diese evolutionäre Expansion der Computertechnik willkommen heißen, da sie außergewöhnliche neue Anwendungsgebiete mit sich bringt, die ihr Leben leichter oder erfüllter machen.
Die rasante Diversifizierung computergeschriebener Programme wird 2052 begonnen haben, aber noch nicht ausgereift sein. Die neuen Äste des Lebensbaums werden aus Populationen von Programmen bestehen, so wie die älteren Äste aus Populationen von Spezies oder Sprachen bestehen, doch ihre Form oder Funktion ist noch nicht klar. Die menschliche Kultur wird durch Meme, Gedankeneinheiten, vermittelt: Ideen, die von Individuum zu Individuum vervielfältigt werden können. Ein Mem ist das kulturelle Analogon zu einem Gen, doch anstatt in organischen Zellen ist es im Geist (englisch mind ) angesiedelt. Es werden Computer-Kulturen außerhalb des menschlichen Denkens existieren und von einem Rechner zum anderen übertragen. Ich schlage vor, die grundlegende Übertragungseinheit ein Exem zu nennen, ein ausführbares (executable) Mem, die digitale Analogie eines Mems oder Gens.
Wir sehen also einer Zukunft entgegen, in der die beiden alten Formen evolutionärer Diversität abnehmen und eine neue entsteht. Wir haben diesen Weg so wenig bewusst gewählt oder
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