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206 - Unterirdisch

206 - Unterirdisch

Titel: 206 - Unterirdisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn und Jo Zybell
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helle Stimme ihrer Novizin riss Arah aus ihren Gedanken. Die Priesterin wandte sich Senja zu.
    Die junge Frau hatte inzwischen den moosbewachsenen Boden des Turmplateaus von Ranken und Flechten befreit. In einem Steinkreis lagen die mitgebrachten Muscheln, Schalentiere und getrockneten Fische. Die Hände der Novizin umklammerten einen ausgehöhlten Flaschenkürbis. Er enthielt Wasser aus dem Fluss Athi. »Soll ich beginnen?« Aus glänzenden Augen schaute sie Arah erwartungsvoll an.
    Die Priesterin nickte ihr freundlich zu. Es war das erste Mal, dass sie Senja das Fruchtbarkeitsritual durchführen ließ. Die Aufregung der jungen Novizin war deutlich spürbar.
    Senja goss das Wasser in den Kreis. Dazu summte sie leise die heiligen Formeln. Sie gab Athikaya von dem zurück, womit die Göttin das Volk der Enkaari segnete: vom Wasser des Athis! Niemals sollte es versiegen, niemals würden die Enkaari es mit Unrat verschmutzen. Die Novizin dankte für die Nahrung, die Athikaya mit dem Fluss brachte. Niemals würden die Enkaari mehr davon nehmen als das, was sie zum Leben brauchten. Auf dass Erde, Mensch und Tier mit Fruchtbarkeit gesegnet wären.
    Schließlich bat Senja um ihre eigene Fruchtbarkeit: Sie würde sich in der kommenden Vollmondnacht einen Mann wählen und mit ihm das Lager teilen. Die Novizin zog sich die Kapuze vom Kopf und leerte den Rest des Wassers über ihre kupferfarbenen Haare. Nachdem sie den leeren Flaschenkürbis neben sich gestellt hatte, griff sie nach dem Dolch in ihrem Gürtel. Leise summend zog sie sich die Klinge über die Handfläche. Helles Blut tropfte in die Mitte des Steinkreises.
    Senjas Hand schrieb ein wellenartiges Zeichen in die Luft.
    Abschließend verneigte sie sich in alle vier Himmelsrichtungen und vor der Priesterin. »Erlaubt mir, dass ich zum Athi aufbreche, um mein Ritual mit einem Bad in den heiligen Fluten zu vollenden!«
    »Ich erlaube es dir«, antwortete Arah und strich ihr das Zeichen der Göttin über die Stirn. Nachdem Senja den Schacht zu den verfallenen Stufen hinunter geklettert war, setzte sich Athi auf einen Mauervorsprung zwischen den Zinnen des Timtow. Sie berührte den rauen Stein. Kaum zu glauben, dass dieses Gemäuer ein halbes Jahrtausend alt ist, dachte sie. Der Turm ist höher als eine große Akazie. Und dennoch soll er einst bis an die Wolken gereicht haben. Damals, bevor der Feuerball aus dem Himmel fiel.
    Arah zog ihren Umhang fester um die Schultern. Sie dachte an die Geschichten der Alten, die seit Generationen von der Priesterin an die Novizinnen weitergegeben wurden. So sollten sie auf ewig im Gedächtnis ihres Volkes bleiben. Die Enkaari liebten Geschichten, aber die Liebe zu ihrer Göttin hatten sie längst verloren. »So wie einst«, seufzte Arah.
    Vor vielen hundert Wintern war Nyaroby eine große, blühende Stadt gewesen. Ihre Häuser waren prächtig und manche reichten bis an die Wolken. Sie war eine reiche Stadt, in der es an nichts fehlte: Ngaai schenkte ihr Rinder und segnete sie mit dem Fluss, der den Boden fruchtbar hielt. In ihr lebten so viele Menschen, wie Sterne am Himmel zu sehen sind. Aber wie die Sterne sich den Himmel teilen, so teilten die Menschen von Nyaroby ihren Reichtum nicht. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebte auf der Straße und ernährte sich von den Abfällen der Reichen. Darunter Tausende von Kindern! Der zornige Gott Ngaai beschloss ein großes Feuer vom Himmel zu schicken, um die Stadt dem Erdboden gleich zu machen.
    Die Göttin Athikaya war nicht glücklich über Ngaais Vorhaben. Sie war die Göttin der Fruchtbarkeit und hasste es, wenn Leben zerstört wurde. Sie beobachtete die Straßenkinder und sah ein Mädchen, das neben einem verhungerten Kind im Staub saß. Lächelnd aß es ein Stück trockenes Brot. »Warum lächelst du?«, fragte Athikaya das Mädchen. »Weil ich lebe«, antwortete das Kind, dessen Name Arah lautete. Der Göttin gefiel die Antwort und sie erzählte Arah von den Plänen Ngaais. »Bringe dich und die anderen in Sicherheit!«, warnte sie das Mädchen.
    So geschah es, dass die Kinder der Enkaari unter der Führung von Arah in den Minen der Alten Schutz suchten. Sie entkamen dem großen Feuer, das Ngaai vom Himmel warf.
    Aber dem, was dem Feuer folgte, entkamen sie nicht. Nicht der langen Dunkelheit und nicht dem ewigen Winter, die Hunger, Kälte und Hoffnungslosigkeit brachten. Keine Hundert überlebten die ersten fünf Jahre.
    Die Überlieferungen berichten von drei Frauen, denen die

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