206 - Unterirdisch
Untersuchungsräume des wissenschaftlichen Instituts unter sich begraben.
Athikaya sei Dank war das Heilerzentrum verschont geblieben. Vor seinen Türen hatte sich eine endlose Schlange von Menschen gebildet: Die Enkaari brachten ihre Verletzten oder suchten nach Angehörigen. Novizinnen der Priesterin kümmerten sich um sie. Stimmen drangen an Carahs Ohr. »Wo ist die Priesterin? Warum ist Arah nicht hier? Ist sie etwa tot?«
Carah seufzte. Nein, Arah lebte! Vor kurzem war die Priesterin in den Dschungel aufgebrochen. Mit einem der Maelwoorms und einer Handvoll Krieger. Sie wollte Barah helfen, verschüttete Jägerinnen aus einer Erdspalte zu befreien.
Carah presste die Lippen zusammen. Ich hätte es verbieten sollen. In Zeiten der Not musste sich die Priesterin dem Volk zeigen! Aber Carah hatte selbst noch unter dem lähmenden Eindruck des Bebens gestanden, als eine der Jägerinnen mit der Botschaft Barahs hier auftauchte. Es war kurz nach Sonnenaufgang gewesen. Die wenigen Enkaari, die dem Chaos entkommen konnten, hatten sich auf dem großen Platz vor dem Asyl um ihre Stadtführerin versammelt. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Carah tat ihr Bestes, die Leute zu beruhigen und ihnen klare Anweisungen zu erteilen. Sie fühlte sich erleichtert, als Arah an ihre Seite trat. Aber die Priesterin kam nicht, um sie zu unterstützen: Arah unterrichtete sie in kurzen Sätzen über die Botschaft Barahs. »Woorm und Männer warten auf mich! Ich muss zu der Erdspalte!« Der Klang ihrer Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Sie kehrte Carah den Rücken und ging einfach davon.
Während sie jetzt daran dachte, versuchte Carah ihren aufkeimenden Zorn zu unterdrücken. Erst im Nachhinein war ihr klar geworden, dass es Arah gar nicht um die Rettung der Jägerinnen ging. Ihr Interesse galt einzig und alleine der Spalte, die das Beben in den Dschungel gerissen hatte. Und Carah wusste auch, was die Priesterin darin zu finden hoffte.
Aber es war sinnlos, noch mehr Zeit mit düsteren Gedanken an Arah zu verschwenden! Carah brauchte jetzt ihre ganze Konzentration, um die Rettungsaktionen in der Siedlung voran zu treiben.
Die Blicke ihrer grauen Augen wanderten über die Stadt.
Immer noch galoppierten einzelne Tsebras unkontrolliert zwischen den Trümmern. Novizinnen in dunkelblauen Gewändern sammelten die umherirrenden Menschen ein. An den Ruinen der Häuser hatten sich inzwischen kleine Gruppen gebildet. Mit bloßen Händen räumten sie losen Schutt beiseite.
Für die großen Trümmer brauchten sie dringend die Woorms.
Spenza muss das erledigen! Um die Tsebras werde ich mich selbst kümmern.
Carah schob ihre Haube aus schwarzen und weißen Marabufedern fester in ihr kurz geschnittenes Haar. Sie öffnete die silberne Spange ihres Umhangs. Langsam glitt das schilfgrüne Tuch über ihre breiten Schultern zu Boden. Ihr Kleid aus rot gefärbtem Wakudaleder leuchtete wie Blut. An ihren Knöcheln und Oberarmen glänzten Kupferringe. Die Stadthalterin griff nach dem Horn, das an einem Lederband um ihren Hals hing. Sie stieß dreimal kurz und zweimal lang hinein. Während sie das Horn absetzte, glitt ihr Blick über den Athi. Von dort erwartete sie Antwort. Zwei Atemzüge später kroch der dunkle Hall eines anderen Horns über die Ufer des Athi: Spenza war bereit!
***
Weißrücken-Vultuurs kreisten über Nyaroby. Mit eingezogenen Köpfen lauerten sie auf totes Fleisch. Aber die Enkaari verbrannten ihre Toten an Ort und Stelle.
Normalerweise hätten sie die Leichen in die Kühlanlagen der Fischfabrik bringen können. Jedoch war keine Hand frei, die Dampfmaschinen anzuwerfen. Die Anlagen standen still.
Für lange Zeremonien blieb keine Zeit: Immer noch drangen Rufe aus den Trümmern! Die Hilfe für die Lebenden ging vor.
So liefen Dutzende von Novizinnen mit brennenden Fackeln durch die Siedlung. Sie entzündeten die Leichname und übergaben deren Seele der Göttin. Der süßliche Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft.
Die großen Vögel drehten ab. Vielleicht hatten sie am anderen Ufer des Athi mehr Glück mit ihrer Nahrungssuche.
Während sie davonflogen, wälzte sich unter ihnen der Maelwoorm durch die Trümmer der Stadt: Er glich einer hellen Riesenschlange mit den Ausmaßen eines mächtigen Baumstamms. Stummelflossen ragten aus den Seiten seines mächtigen Leibes, und ein Mensch thronte auf seinem Rücken.
Das Tier war auf dem Weg zu den feuchten Sandbänken am unteren Flusslauf, in denen es sich bei Nacht und
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