2078 - Die Pforten von Zentapher
er mich mit dieser heiklen und sehr sensiblen Aufgabe.
Ich war gerade von meiner Unterkunft am Rande von Saraogh zur Zentralbibliothek unterwegs, als das gesamte Kabinett von starken Erschütterungen heimgesucht wurde. Diese waren so heftig, daß sie mir fast das Gleichgewicht geraubt und mich von den Beinen gerissen hätten.
Ich hatte Mühe, die Balance zu bewahren.
Und während ich um meinen Halt kämpfte, sah ich, wie eines der Gebäude vor mir förmlich dahinschmolz. Es war kein Feuer zu sehen und keine Hitze zu spüren, aber es machte den Eindruck, als würden unsichtbare Flammen dieses Gebäude niederbrennen, geradezu aufzehren.
Ich dachte noch: Ach, es ist ja nur die Vindoobona-Bibliothek, kein allzu großer Verlust. Aber dann sah ich, wie ein größeres Gebäude mit einer viel bedeutenderen Bibliothek das gleiche Schicksal ereilte.
Und auf der gegenüberliegenden Seite wurde ein weiteres Gebäude auf ganz andere Art vernichtet. Es war, als würde ein unsichtbarer Riesenhammer das Gebäude treffen und es regelrecht zertrümmern, es zerstäuben, mit allem, was darin war. Mit all den unersetzlichen Büchern und Folianten - und mit allen Bibliothekaren darin.
Ich geriet in Panik und lief einfach weg, ohne Ziel, ohne zu denken. Doch überall, wohin ich kam, sah ich glutlos verbrennende Bauwerke und Gebäude, die wie von Riesenfäusten zu nichts zerstampft wurden. Und ich sah in Panik umherirrende Bibliothekare, wie sie im Laufen plötzlich dahinschmolzen oder gleichsam blitzartig zerstäubt wurden.
Das alles passierte in aller Stille. Es waren keine Zerstörungsgeräusche zu hören. Nur die Schreie der aufgescheuchten Bibliothekare geisterten durch Saraogh, so lange, bis ihr Schicksal sie ereilte. Aber kein Fauchen und Tosen war zu vernehmen, kein Krachen und Splittern., Nichts.
Ich weiß nicht mehr, wie lange das alles gedauert hat. Aber mehr als einige endlose Augenblicke kann es nicht gewesen sein. Und als die Katastrophe vorbei war, bot das Kabinett Saraogh einen Anblick der Verwüstung.
Es stellte sich heraus, daß auch Sayn Voukumaja zu den Opfern gehörte. Darum nahm ich als ältester Bibliothekar seinen Platz ein. Eine Zählung ergab, daß von den einst 2000 Bibliothekaren nur noch 154 am Leben waren. Was für eine schreckliche Todesbilanz!
Und mit diesem verlorenen Haufen mußte ich mich an den Wiederaufbau sowie an die Restaurierung und Rekonstruktion der verlorenen Buchschätze machen.
Gut drei Fünftel der wichtigsten Werke waren vernichtet. Ein weiteres Fünftel Bücher war arg beschädigt worden und nur unter größten Mühen zu restaurieren. Fast alle Fachkräfte waren ums Leben gekommen. Aber nur von einigen hundert fanden sich Leichen. Von den meisten Opfern gab es keine Überreste. Es würde viele Generationen dauern - viele Jahrtausende bis der Schaden behoben war.
*
Man hat uns die Möglichkeit zur Fortpflanzung gegeben. Unter Sayn Voukumaja - bis vor der Katastrophe ist das auch in ausreichendem Maße praktiziert worden. Es haben sich immer wieder Bibliothekare gefunden, die für eine Befruchtung bereit waren, so daß der Stand von 2000 gehalten werden konnte, ohne daß Novizen angefordert werden mußten.
Aber jetzt, nach der Katastrophe, da eine Aufstockung des Personalstandes so dringend nötig gewesen wäre, war keiner der Bibliothekare mehr in der Lage, die Prozedur einer natürlichen Befruchtung über sich ergehen zu lassen. Wie sehr ich ihnen auch zuredete, mit welchem Eifer ich sie zu motivieren versuchte, mich sogar dadurch persönlich engagierte, daß ich mich selbst zur Verfügung stellte, ich konnte das Feuer der sexuellen Leidenschaft in keinem meiner Bibliothekare wecken.
Darum mußte ich reagieren. Ich forderte über den Kabinettrechner 2000 Novizen zur Unterstützung an. Ich kann när nicht vorstellen, daß schon irgend einmal vor mir ein Oberster Bibliothekar sich gezwungen sah, eine solch gewaltige Forderung zu stellen. 2000 Novizen auf einen Schlag! Aber ich sah keinen anderen Ausweg, um das Überleben - und Funktionieren - vom Kabinett Saraogh zu sichern.
Als erste Reaktion auf meine Forderungen wurde eine detaillierte Begründung für mein Begehren verlangt. Ich berichtete über die Katastrophe, die über das Kabinett Saraogh hereingebrochen war, und daß die Zahl der Bibliothekare auf einen geringen Bruchteil dezimiert worden war.
Zudem hatte sich herausgestellt, daß jener Bereich des Kabinettrechners, in dem die Inhalte all unserer Bücher
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