208 - Nach der Eiszeit
sie auch nach so langer Zeit in allen Einzelheiten präsent waren, verdankte Mul’hal’waak dem Namenlosen, der sich selbst kleinste Details unauslöschlich einzuprägen vermochte. Schon öfters hatte sich der Daa’mure gefragt, wie das möglich war, bisher aber keine befriedigende Antwort gefunden.
Sein eigenes Erinnerungsvermögen war dagegen nämlich kaum ausgebildet.
***
Weitere drei Tage streiften die Wawaas durch die dichten Urwälder. Zaira, die Anführerin des dritten Suchtrupps, war es schließlich, die Spuren von Menschen entdeckte.
Vor einer Höhle auf einem spärlich bewachsenen Felsplateau fand sie die Überreste eines Lagerfeuers. Ein paar halb verbrannte Tierknochen lagen in der noch lauwarmen Asche.
Zaira, eine ältere Jägerin, die bei der Attacke eines Andronenlioons in der Großen Wüste die linke Brust verloren hatte, ließ die Umgebung sorgfältig absuchen.
Auf dem Plateau selbst hatten die Verursacher des Feuers keinerlei Spuren hinterlassen. So hätten Zaira und ihre drei Krieger die abgehackte Liane dort, wo der karge Bewuchs langsam wieder in den Dschungel überging, fast übersehen. In der Annahme, dass es sich bei den anderen um Menschen ihrer Größe handelte, hatten sie in entsprechender Höhe gesucht, aber die Schnittstelle lag gut einen halben Meter tiefer!
»Hm«, sagte Zaira, untersuchte den Schnitt sorgfältig, kam dann wieder hoch und kratzte sich die linke Seite unter dem Brustpanzer aus hartem Wakuda-Leder. Die inzwischen vernarbte Wunde juckte immer dann, wenn sie aufgeregt war. »Ich hab keine Zweifel, dass das von ‘nem Mensch abgeschnitten wurde. Aber er muss ziemlich klein gewesen sein.«
Ihre Annahme bestätigte sich etwas tiefer im Dschungel. Dort stießen sie auf dem nach einem Regenguss noch immer feuchten Boden auf eine Fußspur im Matsch. »Höchstens so groß wie die von ‘nem Kind«, befand Zaira und rollte ihre großen weißen Augen. »Ich denk, da mach’mer jetzt erstmal Meldung bei Papalegba. Den wird das sicher interessieren.«
Und ob es Mul’hal’waak interessierte! Die Wawaas konzentrierten sich von da an ganz auf die Umgebung des Plateaus. Weitere vier Tage später erschnupperte Mombassa nach Einbruch der Dunkelheit mit seiner feinen Nase Rauchgeruch. Es dauerte nicht lange, bis sie das dazugehörige Feuer ausgemacht hatten. Es brannte vor einer Höhle. Sechs kleinwüchsige Gestalten mit sehr heller Haut, die den Wawaas höchstens bis an die Brust reichten, brieten sich ein unbekanntes Tier am Drehspieß.
Das Fleisch duftete verlockend. Mombassa verspürte kräftigen Hunger. Trotzdem ließ er seine Leute, die sich unbemerkt angeschlichen hatten und nun in der Dunkelheit hinter einem Felsen lauerten, noch nicht zugreifen.
»Was meinste, Mongoo«, flüsterte er seinem momentanen Stellvertreter ins Ohr. »Sind die Angeber dort irgendwie gefährlich? Ich meine, die ham nicht mal ‘ne Wache aufgestellt. Also müssen’se doch sicher sein, dass ihnen keiner was kann.«
»Vielleicht sin’se auch einfach nur leichtsinnig oder dämlich«, flüsterte Mongoo zurück. »Außerdem stinkst du wieder wie’n Zilverbak, Mombassa. Erfahrene Jäger hätten das längst riechen müssen.«
Mombassa grinste in der Dunkelheit. Gleichzeitig zwickte er Mongoo in die Hüfte, dass der nur mit Mühe ein Aufstöhnen unterdrücken konnte. »Dann holen wir sie uns.«
»Hoffentlich verenden ‘se nicht alle am Herzschlag, wenn’se dich Riesenvieh sehen«, revanchierte sich Mongoo verbal für den Zwicker.
Tatsächlich standen die kleinen Jäger starr und steif, als plötzlich eine Front aus vierzehn schwer bewaffneten Wawaas aus der Finsternis auftauchte. Bis auf mächtige, nach oben gebogene Penisrohre waren die Überfallenen nackt. In ihren Nasescheidewänden steckten Knochen.
Ihre Haare hatten sie zu zahlreichen Zöpfen geflochten und jeden Zopf in eine andersfarbige Hülle gesteckt, die wie Igelstacheln von ihren Köpfen abstanden. Das Seltsamste aber waren die hellen, fast wässrigen Augen, die aussahen, als seien sie blind. Keiner der Kleinwüchsigen wagte es, nach den Waffen zu greifen, die ohnehin nur aus Speeren, Wurfhölzern und Messern bestanden.
Mombassa ging auf den Nächstbesten zu. Klein und fragil wie eine Kinderpuppe kam der Kerl ihm vor. Der fremde Jäger begann zu ächzen und riss die Augen auf.
Es musste ihm so vorkommen, als überrolle ihn demnächst ein tief schwarzer Berg. Dann zitterte er am ganzen Leib.
Der riesige Wawaa griff nach der
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