2084 - Der Instinktkrieger
konnte. Danach hätte sich der Kreis geschlossen. Eine Teilung wäre demnach ein Teilsuizid gewesen.
Reizvoller war es fraglos, in ein anderes Universum vorzudringen und es zu erobern. Auch das war aber mit einem Risiko verbunden. Vielleicht gar mit dem Risiko der eigenen Vernichtung. War es weise, solche Träume zu verfolgen? War es nicht viel weiser, angenehm zu träumen und Probleme auszuschließen? Ein Wesen blieb weise, solange es die Weisheit suchte. Wenn es sich einbildete, sie gefunden zu haben, wurde es zum Narren. Es war besser zu suchen. Es war klüger, die Weisheit als eine Art Quelle zu betrachten, aus der man trinken konnte und die man mit jedem Schluck mächtiger gestaltete. Sie war noch weit davon entfernt, weise zu sein. Aber sie war auf dem Weg dorthin.
Sie hatte Zeit. Lange, sehr lange dachte sie schon darüber nach, sich zu teilen, um einen Dialogpartner zu haben. Sie konnte noch viel länger mit der Entscheidung warten. Dass es mehr Leben gab als sie, war ihr längst klargeworden. Und wenn sie es mal vergaß, geschah mit Sicherheit etwas, das ihr mit geradezu brutaler Deutlichkeit in Erinnerung brachte, dass sie nicht allein im Universum war. Allerdings war es überspitzt, anderes Leben als Wesen zu bezeichnen, hieße dies doch, es mit sich selbst auf eine Stufe zu stellen. Und so weit wollte sie wahrhaftig nicht gehen.
Die Reaktionen auf die Angriffe waren meist instinktiv. Sie wurden ihr oft erst bewusst, wenn sie bereits abgeschlossen waren und keine Gefahr mehr drohte. Dabei erreichten die Informationen über jegliche Art von Belästigung ihr Nervenzentrum fast immer schon in dem Moment, in dem sie stattfanden. So auch jetzt. Mit ihren fein ausgebildeten Sinnen nahm sie die Schwingungen wahr, mit denen der Angreifer sich durch die Luft bewegte. Es war ein Wesen von unbegreiflicher Natur. Mit Hilfe seiner sechs Hautflügel konnte es fliegen. Beobachtungen hatten gezeigt, dass es jeden seiner Flügel unabhängig von den anderen ausrichten konnte. Das war zweifellos der Grund dafür, dass es blitzschnell die Flugrichtung zu wechseln vermochte, um auf diese Weise jedem Gegner aus dem Weg zu gehen. Mittlerweile versuchte sie gar nicht mehr, das Flügelwesen mit Stachelgeschossen zu treffen. Im Verlauf der Zeit hatte sie andere Waffen entwickelt. Sie waren ungleich wirksamer als Pfeile, zumal sie den Vorteil hatten, unsichtbar zu sein.
Sie war ein wenig beunruhigt, weil sie geglaubt hatte, dass der Kampf längst zu Ende war und dass es in ihrem Lebensbereich keine Hautflügler mehr gab. Offensichtlich war es jedoch nicht gelungen, den ganzen Bestand zu vernichten. Irgendwo hatte wenigstens einer der Vielflügler seine Eier abgelegt, so dass sich Nachkommen hatten bilden können. Er hatte eine Nische gefunden, in der er sich unbeobachtet aufhalten und seine Zucht etablieren konnte. Sie öffnete die Poren ihrer Haut in einem weiten Bereich um das lästige Insekt und dünstete giftige Gase aus. Lautlos und unsichtbar baute sich ein Kessel aus Gasen auf, umgab dann den Vielflügler.
Sie verspürte den Schmerz, als das Biest seine Beißzangen in ihre Haut schlug und große Fetzen herausriss. Sie war versucht, unmittelbar darauf zu reagieren, beherrschte sich jedoch. Sie konnte leicht auf ein bisschen Haut verzichten. Die Wunde würde schnell verheilen. Der Hautflügler aber würde nicht viel Vergnügen an seiner Beute haben. Sie schob einen mit einem Wahrnehmungsorgan versehenen Arm näher an den Aktionsbereich heran und beobachtete, wie sich das Insekt mit dem Hautfetzen zwischen den Beißzangen in die Luft erhob. Das Raubtier bewegte seine sechs Flügel rasend schnell und bewirkte damit einen gewissen Luftzug. Damit dünnte es die von Gas gesättigte Luft aus. Geschickt kämpfte es gegen das Gift an, von dem es sehr gen au zu wissen schien, wo es sich befand. Doch es konnte nicht sehen, wo überall es war, und so flog es direkt in eine tödliche Wolke hinein.
Mit einer gewissen Belustigung beobachtete Shantanuu, wie das Insekt zu Boden fiel, sich lange zuckend wandte und drehte und es trotz aller Mühen nicht schaffte, sich wieder in die Luft zu erheben, bis das Leben schließlich aus seinem Körper wich. Sie ließ sich Zeit. Viel Zeit. Irgendwann schob sie einen Arm über den leblosen Körper, saugte ihn in sich hinein und führte die in ihm wohnende Energie sich selbst zu. Damit gab sie sich nicht zufrieden, denn eines war ihr klar - aus dem Nichts war der Vielflügler auf keinen Fall
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