Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2084 - Noras Welt (German Edition)

2084 - Noras Welt (German Edition)

Titel: 2084 - Noras Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
Vom Netzwerk:
war. Sie war sich sicher, dass es Jonas war, der anrief, deshalb sagte sie nur: »Na, du?«
    Dann hörte sie eine Frauenstimme: »Spreche ich mit Nora?«
    »Ja?«
    »Hier ist Ester Antonsen. Ich rufe aus Nairobi an.«
    Nora zuckte zusammen. »Ich versteh gar nichts mehr. Gerade eben bin ich aus einem Traum aufgewacht, in dem Traum war ich du und jetzt … warum rufst du an?«
    »Um dir zu gratulieren, Nora. Deshalb rufe ich an. Weil du heute sechzehn wirst.«
    »Danke.«
    »Mein Vater hat mir von dir erzählt. Er hat vorgeschlagen, dass ich dich anrufe und dir gratuliere. Du hast ihm Mut gemacht, als niemand wusste, was mit mir los war. Dafür schulde ich dir großen Dank.«
    Nora war glücklich, dass sie Benjamin hatte helfen können. Sie sagte: »Ich hab ihn von seiner Schweigepflicht entbunden und ihn gebeten, dich zu grüßen. Ich bewundere Menschen wie dich, die in die Welt hinausgehen, um den Ärmsten der Armen zu helfen.«
    Ehe sie fortfahren konnte, fragte Ester: »Und du hast wirklich geträumt, du wärst ich ?«
    »Ja. Im Traum bin ich oft jemand anders. Deshalb hab ich deinen Vater überhaupt kennengelernt. Einmal hab ich geträumt, ich wäre ein Elefant. Das war ein seltsames Gefühl … ein Elefant zu sein, meine ich. Und heute Nacht hab ich geträumt, ich wäre du, ja. Wie haben die Geiselnehmer dich behandelt?«
    »Gut, eigentlich. Ich konnte sie überreden, mich unter freiem Himmel schlafen zu lassen. Es war ihnen recht, und sie haben der Reihe nach Wache gehalten. Aber wir waren nachts auch oft auf und haben gewürfelt.«
    »Und du hast gewonnen, stimmt’s? You were the winner. «
    »Woher weißt du das?«
    »Na ja …«
    »Nora, wie kannst du das wissen?«
    »Weißt du, was aus den Geiselnehmern geworden ist? Die haben doch Frauen und Kinder …«
    »Die Geiselnehmer werden den somalischen Behörden ausgeliefert.«
    »Und dann …?«
    »Ich werde sagen, dass sie mich gut behandelt haben. Aber es war kein schönes Abenteuer, Nora. Ich hatte Angst. Wir können nicht hinnehmen, dass Entwicklungshelfer als Geiseln genommen werden. Wir können versuchen, die Terroristen zu verstehen, aber wir können Terror niemals entschuldigen. Diese Männer müssen vielleicht ein paar Jahre ins Gefängnis, bevor sie wieder nach Hause dürfen.«
    »Ja, klar … aber wenn ich an die Frauen und Kinder denke …«
    »Ja …?«
    »Ich hab im Netz ein Foto von dir gesehen und gleich Benjamin angerufen. Wahrscheinlich weil ich dich vom Bild auf seinem Schreibtisch wiedererkannt hatte.«
    »Aber das ist ein Bild meiner Mutter, und es ist vor einem ganzen Menschenalter aufgenommen worden.«
    »Ich weiß. Also müsst ihr euch unheimlich ähnlich sehen.«
    Ester schwieg eine Zeitlang. Dann sagte sie: »Mir wird oft gesagt, dass ich meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten bin. Aber sie ist gestorben, als ich noch klein war, Nora, seither hat Benjamin nur noch mich. Und seit einiger Zeit Lukas, das ist mein Sohn. Als ich entführt wurde, hatte Benjamin große Angst, mich auch noch zu verlieren – und vielleicht noch mehr davor, dass Lukas ohne Mutter aufwachsen muss.«
    »Jetzt wird mir klar, warum ihn das alles so mitgenommen hat … Wie alt ist Lukas?«
    »Acht. Er liebt seinen Opa, und das beruht auf Gegenseitigkeit.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Dein Vater und ich sind schon nach der kurzen Zeit, die wir uns kennen, richtig gute Freunde. Errätst du, warum?«
    »Nein, aber ich bin gespannt.«
    »Er hat das Klimaproblem begriffen, und es ist ihm wichtig. Aber das ist nicht alles. Genauso gut finde ich, dass er mit jemandem in meinem Alter richtig ernst über solche Fragen spricht.«
    »Als ich sechzehn war, hab ich mit ihm auch über solche Fragen gesprochen. Da war er noch nicht so aufgeschlossen. – Ich hab ihn mir erst erziehen müssen.«
    »Ach ja? Die Tochter hat ihren Vater erzogen?«
    »Na ja, er hat mir schon beigebracht, wie man Steinchen übers Wasser hüpfen lässt. Und er hat mir viel über Vögel erzählt. Und mir gezeigt, wie man Weidenflöten, Rindenboote und Blumenkränze bastelt.«
    »Dann war er ein guter Vater.«
    »Ich bin dann in eine Umweltorganisation eingetreten, und wenn ich nach Hause kam, hab ich vom Klima erzählt. Seither war ich es, die ihn darüber auf dem Laufenden gehalten hat.«
    »Toll. Und was glaubst du, wo wir inzwischen stehen?«
    »Die Gletscher schmelzen, und das Sommereis in der Arktis hat in diesem Jahr ein neues bedrohliches Minimum erreicht. Es war der heißeste

Weitere Kostenlose Bücher