21 - Die achte Flotte
geben. Sie konnte nicht wagen, bei irgendjemandem − und schon gar nicht bei Byng − den Eindruck zu erwecken, dass sie unwillig wäre, ernste Risiken einzugehen oder sogar zu kämpfen, um den Hoheitsraum und die Bürger des neugeborenen Sternenimperiums von Manticore zu schützen. Was das anging, hatte sie sowohl eine legale wie eine moralische Verantwortung, genau das zu tun, ganz unabhängig von der Natur der Bedrohung.
Andererseits konnte selbst ein Pärchen Nikes in arge Bedrängnis geraten, wenn es von sämtlichen Schlachtkreuzern Byngs gleichzeitig angegriffen wurde. Trotz der Vorteile in Reichweite und Durchschlagskraft, die Typ 16 und Typ 23 der Royal Manticoran Navy verliehen, konnte genügend wirksame Raketenabwehr diesen Vorteil weitgehend stumpf werden lassen, und niemand konnte abschätzen, wie wirksam die solarische Raketenabwehrdoktrin nun tatsächlich ausfiel. Michelle bezweifelte sehr, dass sie ausreichte, um die Waage zugunsten der solarischen Schiffe zu neigen, doch ehe sie es selbst beobachtet hatte, konnte sie sich nicht sicher sein. Und selbst wenn sich herausstellte, dass die beiden Nikes tatsächlich allem gewachsen waren, was Byng aufbieten konnte, konnte Byng dies vorher nicht wissen. Und selbst wenn er es wüsste, ganz gleich, wie viele Beweise ihm vorgelegt wurden, er würde es niemals zugeben − wahrscheinlich nicht einmal vor sich selbst −, ehe geschossen wurde. Michelle hatte schon genügend manticoranische Offiziere erlebt, die zu dieser Art Selbsttäuschung fähig waren, wenn es ihre Vorurteile bestätigte. Jemand wie Byng beherrschte es gewiss mühelos.
Und wenn er nicht anerkennt − oder zugibt − , dass eine Bedrohung überhaupt existiert, dann wird die »Bedrohung« ihn auch keinen Augenblick lang abschrecken, oder?, dachte sie bissig. Abgesehen natürlich von der Möglichkeit, dass er mit einem Angriff auf unseren »zahlen- und kampfkraftmäßig unterlegenen« Vorposten eine Grenze überschreitet, die zu achten ihm ausdrücklich befohlen wurde.
Na klar. Sicher hat er solche Befehle. Wenn du bereit bist, darauf zu setzen, Mädel, dann sei vorsichtig bei Immobiliengeschäften mit Brücken oder Zauberbohnen!
Sie verzog das Gesicht, atmete dann tief durch und blickte über die Schulter Lieutenant Commander Edwards an.
»Rufen Sie die Devastation , Bill. Meine Empfehlungen an Commander Cramer. Fragen Sie ihn, ob es ihm passen würde, mit mir hier an Bord der Artemis zu Abend zu essen, um, sagen wir, achtzehn Uhr dreißig?«
»Aye, aye, Ma’am«, antwortete der Signaloffizier, und Michelle wandte sich Gervais Archer zu.
»Sie, Gwen«, sagte sie lächelnd, »sagen Chris, dass Commander Cramer mit uns zu Abend isst. Sorgen Sie dafür, dass Captain Armstrong und Commander Dallas ebenfalls eine Einladung erhalten.«
»Jawohl, Ma’am«, antwortete Gervais ernst. Er sagte sich, dass man vielleicht anführen könnte, sein Admiral sei ein wenig voreilig, ein Dinner zu organisieren, deren Ehrengast noch gar nicht zugesagt hatte. Andererseits konnte sich Gervais nur schwer einen Commander vorstellen, der es nicht irgendwie schaffte, die Einladung eines Admirals in seinem Terminkalender unterzubringen, ganz gleich, wie beschäftigt er war.
»Ach, Bill«, sagte Michelle und blickte Edwards wieder an.
»Wenn Sie schon Einladungen versenden, dann laden Sie Captain Conner und Commander Houseman ebenfalls ein.«
Commander Wesley Cramer von Ihrer Majestät Sternenschiff Devastation war ein abgebrüht aussehender Offizier von einundvierzig T-Jahren (mit denen er drei T-Monate jünger war als sein Kreuzer) mit dunklem Haar und steinharten grauen Augen. Sein sauber gestutzter Schnurrbart diente vor allem dazu, eine Narbe auf seiner Oberlippe zu verbergen, eines von mehreren Souvenirs einer Laufbahn als Rugbyspieler auf Saganami Island, und es sah nicht so aus, als wäre er sonderlich sanftmütiger geworden, seit er die Akademie verlassen hatte.
Was Michelle unter den gegebenen Umständen nur recht sein konnte.
Sie musterte ihn intensiv, aber unauffällig, als Gervais Archer ihn in den prächtigen Salon führte, den BuShips ihr zur Verfügung gestellt hatte. Obwohl er Kommandant eines Schiffes der Königin und der befehlshabende Offizier im Tillerman-System war, war er dennoch jünger als alle anderen Anwesenden mit Ausnahme von Archer. Wenn er sich dieser Tatsache bewusst war, so ließ er sich davon jedenfalls nicht allzu sehr beeindrucken.
»Commander Cramer«, murmelte
Weitere Kostenlose Bücher