21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
und seitdem längst vergessen, Jahrzehnte weit hinter ihm zu liegen schien, ihn aber doch bis heute begleitete! Und ebenso ist es zu erleben, daß die Ausführung einer freundlichen Eingebung, an die kein Mensch mehr zu denken schien, völlig unerwartet nach langen Jahren Lohn und Segen bringt!
Ich, der ich diese Erfahrung so häufig nicht nur an mir selbst, sondern auch an andern gemacht habe, bin der festen Überzeugung, daß die jahrtausendealte Sage von dem Engel, welcher jeden Gedanken, jedes Wort und jede Tat des Menschen in das ‚Buch des Lebens‘ einträgt, eine ebenso schöne wie treffliche Versinnbildlichung des göttlichen Ratschlusses ist, daß jeder Mensch die Folgen seiner seelischen und körperlichen Handlungen zu tragen habe, und zwar nicht ausschließlich hier, sondern mehr noch in jenem Leben, wo nichts mehr verheimlicht werden kann, sondern alles bekannt und offenbar wird. Es ist das für den einen ein fürchterlicher und für den andern ein tröstlicher Gedanke, der jenen zur Ein- und Umkehr mahnt, diesem aber Mut, Geduld und Zuversicht verleiht.
Man hört so häufig sagen, daß das Schicksal den Gerechten leiden, den Ungerechten aber fröhlich leben lasse. Könnten die, welche dies behaupten, doch diesen Ungerechten sehen, wenn er sich unbeobachtet glaubt! Und könnten sie sich an der stillen, frohen Hoffnung dieses Gerechten erbauen! Das Schicksal?! Wie ungern höre, spreche und schreibe ich dieses Wort! Wenn wir unter dem Schicksal das Ergebnis von Ursachen verstehen, die nicht von der Macht des Menschen abhängen, so besitzt er doch so viel geistige Freiheit und Selbstbestimmung, daß er gar wohl befähigt ist, in dieses ihm von der Natur und den Verhältnissen vorgeschriebene Schicksal umgestaltend und bessernd einzugreifen und sich also als Herr desselben zu zeigen. Und wenn dazu die Überzeugung kommt, daß das irdische Leben nur die Vorstufe eines höheren Daseins ist, für welches diese Ursachen und ihre Wirkungen zu überwinden, zu besiegen sind, so ist es nicht eine Last, sondern eine Freude, den Kampf mit ihnen aufzunehmen, und mit unfehlbarer Sicherheit stellt sich die Erkenntnis ein, daß wir nicht Sklaven, sondern Meister des sogenannten Schicksals sind. Nur dürfen wir uns nicht von ihm wie auf einem ruder- und steuerlosen Floß treiben lassen, sondern müssen die Augen offenhalten, um unsere Taten in uns entstehen zu sehen und ihnen nach außen hin Kraft, Gestalt und Richtung geben zu können. Dann werden wir die Genugtuung haben, nicht nur den äußeren Verlauf unseres Lebens in der Hand zu halten, sondern auch die enge Beziehung seiner Einzelheiten untereinander zu erkennen und sogar bestimmend in das Dasein anderer, willensschwächerer Menschen einzugreifen. Sein Schicksal selbst zu lenken und mit demselben auf dasjenige anderer einzuwirken ist so schwer, wenn man den Blick dabei nicht nach dem Jenseits richtet, und doch so leicht, wenn man sich nur nach dem einen, einzigen Gesetz richtet, welches die Welt, die Erde, den Menschen und das für uns unsichtbare Stäubchen regiert – die Liebe!
Warum ich in dieser Weise philosophiere, moralisiere und spintisiere, anstatt einfach weiter zu erzählen? Gut, ich erzähle!
Ich hatte unsere Reise nach Schiras gleich oder doch nur kurze Zeit nach unserer Rückkehr vom Birs Nimrud fortsetzen wollen, da aber trafen wir in Bagdad einen Händler, welcher eine in der Dschesireh außerordentlich berühmte Schönheitssalbe verkaufte, deren Verfertigerin oben in der Gegend von Kirmanschah zu suchen war. Es war in einem Kaffeehaus, wo der Mann sein Mittel ausrief und es auch uns anbot. Ich glaubte, daß Halef ihn einfach fortweisen werde; er ließ sich aber in ein Gespräch mit ihm ein, indem er ihn fragte:
„Darf ich dich vielleicht bitten, mir zu sagen, von wem du dieses Wundermittel der Schönheit beziehst?“
„Ich kenne keinen Grund, es dir zu verschweigen“, antwortete der Tutschar (Händler), „denn ich bin stolz darauf, der einzige zu sein, dem die Verfertigerin den Verkauf für diese Gegend gestattet hat. Ich habe von ihr die Erlaubnis, sie jährlich zweimal zu besuchen, um mir die Marham ed Dschamahl (Salbe der Schönheit) von ihr zu holen. Da warten schon alle Harimat (Plural von Harem) auf mich, um in den Besitz der Wundersalbe zu kommen.“
„Bewirkt sie wirklich die Wunder, von denen man überall erzählt?“
„Oh, mehr, viel mehr, als man erzählen kann! Sobald man mit ihr das Gesicht nur berührt, verschwinden
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