21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
Pascha bezog sich nicht bloß auf mich, sondern auch auf Halef; auch Amuhd Mahuli hatte zu erscheinen. Als wir ankamen, sahen wir, daß es sich um einen Istikbal, einen feierlichen Empfang handelte, bei dem die hohen Militär- und Ziviloffizianten des Pascha anwesend waren. Es ging während der ersten Viertelstunde sehr feierlich her; als dann aber die Tschibuks in ihre Rechte kamen, wurde es gemütlicher. Bei Tafel, welchen Ausdruck man freilich nicht wörtlich nehmen darf, forderte der Pascha mich auf, einiges von meinen und Halefs Erlebnissen zu erzählen, worauf ich mir die Bemerkung gestattete, daß Halef ein viel besserer Erzähler sei als ich. Der Kleine war darüber ganz entzückt und entledigte sich der ihm noch nie gewordenen Aufgabe, einen Pascha von mehreren Roßschweifen zu unterhalten, in so vortrefflicher Weise, daß der Gebieter am Schluß lächelnd gestand, er sei noch nie einer Erzählung wegen so spät schlafen gegangen wie heute.
Er verabschiedete jeden von uns einzeln. Als er unserm Polen, der in seiner alten Uniform mit dem Bimbaschiabzeichen erschienen war, die Hand gab, sagte er:
„Ich habe dir mitzuteilen, daß der Padischah, Allah segne und schütze ihn, dir infolge deiner Verdienste den Rang eines Mir Alai verliehen hat; die schriftliche Zufertigung wirst du in den nächsten Tagen erhalten. Bedanke dich nicht bei mir, sondern bei deinem Freunde Kara Ben Nemsi Effendi, dem, wie es scheint, selbst der Beherrscher der Gläubigen alle Wünsche zu erfüllen hat!“
Bei diesen Worten schüttelte er mit heiterem Lachen auch mir die Hand, und wir durften uns entfernen, wobei wir durch ein Spalier sich tief verbeugender Beamten schritten, um dann auf weißen Eseln heimzureiten.
Eine ungeahnte Folge des Avancements des Polen war, daß Halef jetzt nicht nur von einem ‚früheren Kol Agasi und jetzigen Bimbaschi‘, sondern nun auch von einem ‚früheren Bimbaschi und jetzigen Mir Alai‘ sprach, und daß Kepek sich noch viel dicker gab, als er eigentlich war; der Diener und Vertraute eines Mir Alai zu sein, das machte ihn ungeheuer stolz.
Amuhd Mahuli blieb noch zwei Tage in Bagdad; als er dann nach Hilleh zurückkehrte, hatte ich die feste Überzeugung, daß Mohammed und der Koran bei ihm nichts mehr galten. Ich schenkte ihm ein Neues Testament in arabischer Sprache, und er versprach mir, es des Abends, wenn er keinen Dienst habe, sehr fleißig durch- und auch den Seinen vorzulesen. – – –
SECHSTES KAPITEL
Ein Rätsel
Wenn schon bei mündlichen Erzählungen Wiederholungen dehnend oder gar störend wirken, so muß man von dem Verfasser einer schriftlichen Erzählung erst recht verlangen, daß er das, was er schon einmal ausgesprochen hat, nicht wieder sagt. Wenn aber ein Autor Zwecke verfolgt, wie die meinigen sind, Zwecke, welche sich auf den Glauben an Gott, auf den Sinn für alles Gute, Schöne und Edle beziehen, so gibt es für ihn Gedanken und Betrachtungen, die er – es sei mir ein landläufiger Ausdruck erlaubt – nicht oft genug wiederholen kann. Eine dieser meiner zuweilen wiederkehrenden Betrachtungen ist die, daß die Ereignisse nicht nur des Völkerlebens, sondern auch im Leben des Einzelmenschen untereinander in einem Zusammenhange stehen, welcher sich dem ungeübten Auge zwar oft entzieht, aber trotzdem vorhanden ist und grad dann, wenn man es am wenigsten erwartet hat, zur Offenbarung kommt. Wie die nach irdischen Begriffen fast endlos weit voneinander entfernten Sterne des Firmaments durch ewige Gesetze zusammengehalten werden, so sind auch die Handlungen des Menschen und die Ereignisse seines Lebens, mögen sie noch so entfernten Zeitpunkten angehören, doch so eng miteinander verbunden, daß nicht gar selten in einem Vorgang des Greisenalters die Folge einer Tat der doch schon längst vergangenen Jugendzeit zu erkennen ist. Es gibt im inneren und äußern Leben des Menschen nichts, was man als vollständig und für immer abgeschlossen bezeichnen darf, vielmehr ist alles, was geschieht, die Frucht eines vergangenen Tages, welche den Kern zur Weiterentwicklung ihrer Art in sich trägt. Ihrer Art! Ich sage das mit Vorbedacht, denn eine gute Tat kann nur Gutes und eine Böse nur Böses gebären. Das ist ein ewiges und unerschütterliches Gesetz, an dem man zwar deuteln mag, ohne es aber ändern zu können. Wie häufig kommt es vor, daß ein ganz guter, herzensbraver Mensch ganz plötzlich die Konsequenzen einer Tat über sich hereinbrechen sieht, die, damals bereut
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