21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
dadurch furchtsam zu machen, daß du euerm hiesigen Sandschaki den hohen Titel eines Pascha gibst, so irrst du dich. Wir stehen unter dem direkten Schutz des Padischah, und selbst wenn das nicht wäre, so würden wir uns selbst zu beschützen wissen. Willst du uns sagen oder nicht, was das Essen kostet?“
„Nein!“
„So bezahle ich, was mir beliebt. Es wird mehr sein, als du zu fordern hast. Hier hast du!“
Ich nahm das Geld aus dem Beutel und reichte es ihm hin; da schlug er mir von unten an die Hand, daß die Geldstücke zur Erde flogen. Ich warnte ihn:
„Höre, Mann, ich bin nicht gewohnt, daß man nach mir schlägt oder mich in ähnlicher Weise beleidigt. Versuchst du das noch einmal, so zeige ich dir, wie ich solche Frechheiten zu bestrafen pflege! Geh weg!“
Er stellte sich mir nämlich in den Weg, weil er sah, daß ich in den Sattel wollte; Halef hatte sich schon aufgeschwungen. Die Beduinen riefen dem Wirt zu, uns nicht fortzulassen. Dieser wagte es auch wirklich, mich am Arm zu packen.
„Laß los!“ forderte ich ihn auf.
„Du bleibst!“ herrschte er mich an, indem er mich festhielt.
„So flieg dorthin, wo schon die andern liegen!“
Ich gab ihm einen Hieb unter das Kinn, daß er zurücktaumelte, faßte ihn bei der linken Hüfte und unter dem rechten Arme, hob ihn auf und warf ihn auf den dritten Beduinen, welcher ihm zu Hilfe kommen wollte. Beide stürzten nieder. Ehe sie sich aufraffen konnten, saß ich auf dem Pferde, und wir ritten fort. Hinter uns brüllten die Kerls; wir achteten nicht darauf und trabten, ohne von ihnen verfolgt zu werden, durch den westlichen Stadtteil und die dortige Palmenwaldung der Gegend zu, in welcher südlich von der Stadt der Birs Nimrud in der Nähe der Ruine Ibrahim Chalil liegt.
Die Entfernung beträgt nicht ganz drei Stunden, in welcher Zeit uns nur wenige einsam wandernde Menschen begegneten. Als wir dort anlangten, war die Sonne im Untersinken begriffen, und wir machten am Fuß der Ruine genau an derselben Stelle Halt, an welcher wir damals unser Lager aufgeschlagen hatten. Es war kein Mensch rundum und weithin zu sehen; wir konnten unsere Pferde ohne Aufsicht unten stehen lassen und stiegen auf die Höhe des Turms, um einen Blick über das weite Feld der Ruinen zu werfen: Oben angekommen, befanden wir uns an einer der berühmtesten Stätten der Religions- und Weltgeschichte.
Babel!
Und die Menschen sprachen: „Wohlan, lasset uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen!“ So erzählt die heilige Schrift. Die Stadt wurde gebaut und Babel genannt. Der Name ist noch da; aber wo ist die Stadt und wo der Turm? Trümmer und nichts als Trümmer weit umher, und da, wo der Turm bis gen Himmel reichen sollte, stand ich nun zum zweitenmal und gedachte der Worte: „Wo der Herr nicht das Haus baut, da arbeiten die Meister umsonst, und wenn der Herr nicht die Stadt behütet, da wachen die Wächter umsonst!“
Nach Herodot hatte die zu beiden Seiten des Euphrat liegende Stadt einen Umfang von 480 Stadien, also beinahe 120 Kilometer. Sie wurde von einer 200 Ellen hohen und 50 Ellen starken Mauer umgeben, welche von starken Türmen und einem breiten, tiefen Wassergraben beschützt wurde. Hunderte eherne Tore führten durch diese Mauer, und von jedem dieser Tore ging eine gerade Straße durch die ganze Stadt nach dem gegenüberliegenden. Die bis vier Stockwerke hohen Häuser waren aus Backsteinen erbaut, welche untereinander mit Erdharz verkittet wurden. Die Gebäude hatten prächtige Fassaden und wurden durch freie Höfe voneinander getrennt. In dem weiten Häusermeer lagen große Plätze und prachtvolle Gärten, in denen zwei Millionen Menschen Erholung suchen und finden konnten. Auch die Ufer des Stroms waren von gigantischen Mauern eingefaßt, deren erzene Tore des Nachts verschlossen wurden. Über den Fluß führte eine herrliche, dreißig Fuß breite Brücke, deren Dach abgenommen werden konnte. Nach Diodor war sie eine Viertelstunde, nach Strabo eine Stadie lang. Um diese Brücke zu bauen, mußte der Strom abgeleitet werden; man grub also im Westen der Stadt einen See aus, welcher 75 Fuß tief war und einen Umfang von zwölf Meilen hatte; hierein ließ man die Fluten laufen. Dieser auch später beibehaltene See diente zur Verteidigung der Stadt, zur Regulierung der Flußüberschwemmungen und zur Bewässerung der Felder, was mittels vieler Schleusen geschah. An jedem Ende der Brücke stand
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