21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
wachsam sein und schon jetzt dafür sorgen, daß wir wenigstens für unsere Pferde eine Stelle finden, wo sie nicht so offen wie jetzt stehen, nämlich zwar am Rand des Schuttbergs, aber doch auf der freien Ebene. Es ist glücklicherweise noch hell genug, nach einem solchen Versteck zu suchen.“
Als wir unten ankamen, gingen wir am Fuß der Ruine hin, und es dauerte gar nicht lange, so bemerkte ich etwas, was meine Aufmerksamkeit erregte, obwohl es mit unserer Absicht, einen verborgenen Ort für die Pferde zu suchen, nicht zusammenzuhängen schien. Es gab da nämlich eine Halde lockeren Schutts, aus vollständig verwitterten und zerfallenen Luftziegeln bestehend, welche von oben herabgefallen waren. An dieser Halde führt da, wo wir jetzt standen, eine Fährte empor. Ich glaube nicht, daß sie ein anderer, zumal ein Beduine, entdeckt haben würde; aber für ein in den Prärien und Urwäldern Amerikas geschärftes Jägerauge war sie deutlich genug. Ich deutete auf sie und fragte meinen kleinen Hadschi:
„Siehst du diese Spuren, Halef?“
„Spuren?“ fragte er verwundert. „Ich sehe nichts. Was für Leute sollen da hinaufgestiegen sein?“
„Es handelt sich nicht um Menschen, sondern um Tiere, welche öfters hier auf- und abwärts zu spazieren scheinen.“
„Wohl gar Löwen!“ lachte er.
„Das nicht. Es sind kleine Tiere, die hier einen oft benützten Pfad zu haben scheinen.“
„Möglich! Ich sehe nichts; auch kann uns der Spaziergang dieser kleinen, uns unbekannten Tiere gar nicht interessieren. Komm, wollen weiter!“
„Nein. Wir suchen ein Versteck, und die Tiere, welche hier verkehren, sind keine zahmen, sondern wild; wilde Tiere aber pflegen verborgene Lagerstätten zu haben; wir werden diesen Spuren folgen.“
Wir stiegen also die Halde empor und kamen an eine von unten nicht bemerkbare Stelle, wo sie einen nach der Ruinenwand führenden Einschnitt hatte, der sich durch die Mauer fortzusetzen schien. Ob hier einst ein Tor gewesen oder die Mauer aus einem besondern Grund an dieser Stelle verwittert und eingestürzt war, das ließ sich nicht sagen, aber die Lücke war groß genug, nicht nur uns, sondern auch die Pferde durchzulassen. Wir drangen in sie ein. Sie führte lang und schmal durch gewaltige Ziegelmassen nach einem viereckigen Innenraum, der am besten mit einem sogenannten Lichthof zu vergleichen war, obwohl wir keine Fenster sahen, die sich vor Zeiten nach ihm geöffnet hatten. Seine Umfassungsmauern waren an vielen Stellen zerrissen und abgebröckelt, und der Boden, auf welchem wir uns befanden, bestand aus lockerem Ziegelmehl, welches hier Stockwerke tief zu liegen schien. Es war in diesem Innenhof dunkler als draußen, dennoch sahen wir die Losung der betreffenden Tiere in ziemlicher Menge herumliegen und entdeckten nun auch, welcher Art sie waren; es schien hier ihr Kampf- und Tummelplatz zu sein, denn wir sahen große Borstenflocken und viele Stacheln rund umher, welche den Besiegten ausgerissen oder abgebrochen worden waren.
„Maschallah!“ rief Halef aus. „Wir scheinen da einen Suk el Kanafid (Stachelschweinsmarkt) entdeckt zu haben. Meinst du nicht auch, Sihdi?“
„Ja“, antwortete ich. „Dieser so tief versteckte Hof, der wohl seit zwei Jahrtausenden von keines Menschen Fuß betreten wurde, paßt einzig gut für diese nächtlichen Stachelborster. Sie können in dem weichen Schutt und den zu Mehl zerbröckelten Mauern leicht ihre Gänge graben, die oft von bedeutender Tiefe sind – – – ah, da fällt mir das Gemach ein, in welches der Bimbaschi eingesperrt worden ist! Er sagte, daß es da Stachelschweine gegeben habe; er sprach von einem Erdhaufen in der Ecke, und ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß dieser Haufen aus zerfallenen Ziegeln bestanden habe, durch deren Mehl diese Tiere leicht hineinkommen konnten. Es hat da also einen Gang für sie gegeben. Ob der wohl auch für Menschen weit genug wäre? Und ob dieser Gang vielleicht gar in diesen Hof hier mündet.“
„Sihdi, träume nicht! Du willst da Dinge zusammenbringen, welche gar nicht zueinander gehören!“
„Woher weißt du, daß sie nicht zusammen gehören?“
„Die Höhe stimmt nicht.“
„Wieso?“
„Nach der Beschreibung des Bimbaschi hat das Gefängnis höher gelegen, als wir uns hier befinden.“
„Ja, hier an dieser einen Stelle; aber dort vor uns, von dieser bis zu dieser Ecke steigt der Schutt fast um ein Stockwerk höher an und – schau hin! Siehst du die Löcher, welche in
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