21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
letzteren und öffnete. Es gab einen ziemlich großen, sehr schmutzigen Raum, welcher durch zwei schmale Schießscharten Luft und Licht bekam. Da saß sie auf einer alten, zerfetzten Decke an der Wand. Sie hatte die Hände gefaltet und schien gebetet zu haben.
Ja, es war Marah Durimeh! Sie war wie damals eingehüllt in einen weiten dunklen Mantel, aus welchem mir ihr hageres Gesicht wie dasjenige eines Totenkopfes entgegengrinste. Auch heut hingen ihr die dicken, schneeweißen Haarzöpfe bis fast auf die Erde herab, als sie sich bei unserm Anblick langsam aufgerichtet hatte.
Als sie das Geräusch unsres Kommens hörte, hatte sie wohl nur den Mülasim erwartet. Nun sah sie außer ihm noch einen zweiten eintreten, weshalb sie die Augen forschend auf mich richtete. Keine Wimper, keine Falte ihres Angesichtes zuckte. Ihr Blick schien wie aus einer weiten, weiten Ferne, für welche es kein Erkennen gibt, zu mir herzukommen, und ihre Lippen bewegten sich zu keinem einzigen Wort; es schien ganz so, als ob sie gar nicht atme. Der Eindruck, den sie machte, war nicht der einer Leiche, wie der Mülasim gesagt hatte, sondern ein überirdischer, ein – – – es gibt kein Wort, welches der richtige Ausdruck dafür wäre. Ich fühlte eine tiefe, fast heilige Verehrung anstatt Grauen.
„Dieser Jüsbaschi ist gekommen, mich abzulösen und dich an meiner Stelle zu bewachen“, sagte der Mülasim. „Ich hoffe, daß du ihm so wenig Sorge bereitest, wie du mir bereitet hast!“
Seine Stimme wankte leise; er fürchtete sich vor ihr.
„Sein Eingang ist gesegnet!“ antwortete sie langsam und in tiefem, überzeugtem Ton, woraus ich wohl schließen durfte, daß sie mich doch erkannt hatte.
„Hast du einen Wunsch?“ fragte ich.
Sie senkte leise den Kopf zur Seite und horchte zu mir her. Wie wenn ein lieber, lange entbehrter Ton an ein lauschendes Ohr dringt, so glitt ein leises, glückliches Lächeln über ihr Gesicht. Dann antwortete sie:
„Mein einziger Wunsch ist Gott. Wer in ihm und in seiner Liebe lebt, braucht keine anderen Wünsche.“
„Du hast die Wahrheit gesprochen! Er kennt den rechten Augenblick für alles, was zu unserm Heil dient.“
Nach diesen Worten drehte ich mich um und ging hinaus. Der Mülasim folgte mir und verschloß die Tür wieder. Dann führte er mich hinunter an das Loch. Dort sagte er:
„Da unten stecken die Hamawands. Du siehst und hörst nichts von ihnen, denn es ist tief und dunkel, und sie sind so stolz, kein lautes Wort hören zu lassen. Nur manchmal hört man die klagende Stimme des Knaben für einen Augenblick.“
„Sie sind mit Hilfe dieser Stricke hinabgelassen worden?“ erkundigte ich mich.
„Ja.“
„Wie steht es mit dem Essen und Trinken?“
„Wir lassen ihnen täglich einmal Wasser in einem Kürbiskrug und auch Brot hinab, welches einer der Kurden aus Mehl und Wasser beim offenen Feuer bäckt. Kann ich dir noch eine Auskunft erteilen?“
„Nein; es ist gut. Ich weiß nun alles, was ich zu wissen brauche.“
„So bist du also bereit, diesen Posten zu übernehmen?“
„Ja.“
„Und ich kann gehen?“
„Sofort, wenn du willst.“
„So bitte ich dich, mir zu quittieren!“
„Ich werde dir die Quittung auf das Schreiben des Kaimakam setzen.“
„Ja, tue das! Ich bitte dich, mit herein zu kommen!“
Er schob die vorhin erwähnte, als Portiere gebrauchte Decke zur Seite, und wir traten in den dahinterliegenden kleinen Raum, welcher nichts, aber auch weiter gar nichts als ein altes Kissen enthielt, welches des Tages als Sitz und bei Nacht als Bett zu dienen hatte. Zum Zudecken war der Mantel zu nehmen. Ein Wachtlokal für einen Offizier in Kurdistan!
„Du siehst, in einem Palast wirst du nicht wohnen“, lachte der Mülasim bitter. „Ich bin froh, gehen zu dürfen, und werde, sobald du geschrieben hast, keinen Augenblick warten!“
„Hast du Tinte?“
„Nein. So etwas Kostbares gibt's hier nicht!“
Ich hatte mein Notizbuch eingesteckt, nicht etwa weil ich in dem Glauben gewesen wäre, es zu brauchen, sondern weil ich es nicht in der offenen Jackentasche steckenlassen wollte. Da gab es einen Bleistift, mit dem ich die paar Zeilen schrieb, die ich in einer für den Mülasim freundlichen Weise verfaßte. Er las sie, steckte das Papier ein, reichte mir die Hand und sagte:
„Das sind kameradschaftliche Worte; ich danke dir! Nun hält mich aber nichts mehr hier zurück!“
Wir gingen hinaus in den Hof, wo er Befehl gab, sein Pferd zu satteln. Während
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