21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
steckte, erklärte mir der Raïs, daß kein Mensch, dem ich unbekannt sei, an eine Verkleidung denken werde. Halef rief mir von weitem zu:
„Sihdi, es wird dich jedermann für den halten, für den er dich halten soll. Mehr kann ich dir nicht sagen, denn ich habe keine Zeit dazu. Habe also die Güte, und entschuldige mich! Das Gefängnis geht mir mit seinen Mauern, dem Dach und auch der hohen Feueresse im Kopf herum!“
Da ich die Waffen des Arnauten tragen mußte, übergab ich die meinigen dem Raïs zur sorgfältigen Aufbewahrung; nur einen Revolver steckte ich in die Tasche. Nach Verhaltensmaßregeln befragt, erklärte ich, daß ich keine besonderen für nötig halte. Es durfte bis zu meiner Rückkehr niemand das Versteck verlassen, und jedes laute, hinausdringende Geräusch war zu vermeiden; weiter hatte ich für jetzt keinen Wunsch. Als ich dann das Pferd des Arnauten am Zügel nahm, um mich mit ihm zu entfernen, traten Ingdscha und Madana mit der wohlgemeinten Bitte zu mir, mich ja in keine zu große Gefahr zu begeben; zu ihrer Beruhigung versprach ich ihnen das, obgleich es natürlich nicht in meiner Macht lag, den Besuch des Turms für mich weniger gefährlich zu machen, als er überhaupt war.
Ich mußte die steile Höhe hinan, welche wir heruntergekommen waren; dann führte ich den Gaul nach rechts in die kurze Schlucht hinab, durch welche ich mit dem Raïs nach dem Tal des Kulluk geschlichen war. Ich will aufrichtig gestehen, daß es mir nicht ganz unbedenklich zumute war, als ich den Turm nun vor mir ragen sah. Hinauf würde ich ja ganz gut kommen; wie aber wieder herab? Vielleicht gar nicht! Mein Vorhaben war ja viel, viel gefährlicher, als ich mir hatte merken lassen! Doch stand wenigstens das bei mir fest, daß ich lieber alles wagen als mich als Gefangenen da oben festhalten lassen würde.
Allzugroß schien die Wachsamkeit der Dawuhdijehs nicht zu sein, denn ich kam fast ganz hinauf, ohne einen von ihnen zu sehen. Zuletzt ging es unter einigen Rieseneichen hin, und als ich diese hinter mir hatte, lag das Tor in kurzer Entfernung vor mir. Zur Seite desselben lagen fünf Kurden, welche bei meinem Anblick aufsprangen. Sie betrachteten mich kurz; dann kamen mir vier einige Schritte entgegen; der fünfte verschwand im Innern, jedenfalls um mein Erscheinen drinnen zu melden. In diesem Augenblick war alle etwa in mir vorhanden gewesene Bangigkeit verschwunden. Die Furcht vor der Gefahr pflegt ja meist größer als die Gefahr selbst zu sein.
„Ihr seid Kurden des Stammes Dawuhdijeh?“ fragte ich in kurzer Weise, indem ich vom Pferd sprang und einem von ihnen den Zügel hinwarf.
„Ja, Aga“, antwortet er.
„Ihr habt einen besondern Anführer?“
„Ja, Rebat ist es.“
„Das stimmt. Wo befindet er sich?“
„Drin in der Wachtstube.“
„Und der Mülasim?“
„Er hält den Kef (Mittagsschlummer) bei sich. Dürfen wir ihn stören?“
„Ich werde das selbst tun. Führt mich zu ihm!“
Da kam ein baumlanger, dürrer, mit allen möglichen Waffen behangener Kerl herausgeeilt, stellte sich dicht vor mich hin und sagte in respektvollem Ton:
„Gegrüßt seist du, o Jüsbaschi (Hauptmann)! Ich bin Rebat, dem die Krieger hier zu gehorchen haben.“
„Das weiß ich schon. Dir ist doch bekannt, wo sich Ismael Beg, euer Scheik, jetzt befindet?“
„Ja. Er wartet auf – auf – – –“
Er zögerte, weiterzusprechen. Wahrscheinlich war er sich im unklaren, ob er mir die betreffenden Mitteilungen machen dürfe oder nicht. Darum ergänzte ich seine Rede:
„Er wartet auf die dreihundert Hamawands, meinst du. Da hat er sich freilich verrechnet; eure Kundschafter hätten besser aufpassen sollen. Ich habe euch eine wichtige Nachricht zu bringen; sie ist sehr eilig; aber ich kann sie nicht eher aussprechen, als bis ich mich überzeugt habe, daß hier alles in Ordnung ist. Führe mich zum Mülasim!“
„Sofort, o Jüsbaschi. Erlaube, daß ich vorangehe!“
Wir kamen durch das Tor in das Innere des kubischen Mauerwerks. Es bildete einen viereckigen Hof, welcher ringsum in etwas über Mannshöhe mit sehr defekten Dächern versehen war. Rechts und links standen die Pferde. Zu beiden Seiten des Tors und auch gegenüber zu Seiten des Turmeingangs hockten die Kurden in allen möglichen Stellungen. Sie standen auf, als sie mich kommen sahen. Diese Achtung, welche sie meiner Uniform erwiesen, war ganz geeignet, beruhigend auf mich zu wirken; ich durfte hoffen, daß man mir gehorchen werde.
Rebat
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