21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
ich hörte, später auch verbrannt werden; das übrige ließ man einfach laufen, wie es lief. Die Verwandten der hier in dieser Weise behandelten Toten hatten große Summen zahlen müssen, um den letzten Wunsch der Sterbenden, an einem der heiligen Orte begraben zu werden, erfüllen zu lassen, und nun ging man mit den Überresten hier in einer Weise um, welche den übernommenen Verpflichtungen geradezu Hohn sprach.
Während wir das abscheuliche Gebaren dieser dreißig Männer beobachteten, machten wir die höchst auffällige Bemerkung, daß die Särge und Pakete nicht bloß Leichen enthielten, sondern neben diesen auch noch verschieden gestaltete, größere oder kleinere Bündel, die mit großer Sorgfalt herausgenommen, abgewischt und dann an einer besonders dazu bestimmten Stelle nebeneinander gelegt wurden. Der Inhalt dieser Bündel mußte den Leuten also wertvoller sein als die ihnen anvertrauten Leichen. Worin aber bestand dieser Inhalt? Es versteht sich ganz von selbst, daß uns diese Frage lebhaft interessierte; vielleicht war sie sogar von Wichtigkeit für uns; aber da es unmöglich war, aus der Form auf das darin Befindliche zu schließen, so blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Beobachtungen fortzusetzen und ruhig abzuwarten, was noch geschehen werde.
Die Gesichter der Leute wurden von den Feuern derart beleuchtet, daß wir sie deutlich erkennen konnten, doch befand sich keines dabei, welches wir schon einmal gesehen hatten. Dadurch wurde die von mir heimlich gehegte Erwartung, den Säfir unter ihnen zu sehen, zuschanden.
Es dauerte trotz der von ihnen entwickelten Eile lange, ehe sie alle Särge und Pakete geöffnet hatten und alles von der Leichenbrühe durchzogene Holz und Zeug in die Flammen geworfen worden war. Zuletzt wurde ein großer Haufen trockenen Tamariskengestrüpps aufgeschichtet, in welchen man, als er in Brand gekommen war, die herumliegenden Knochenteile warf. Da an diesen noch die nicht von der Fäulnis losgelösten Fleischfetzen hingen, wurde der Gestank jetzt ein so höllischer, daß es uns geradezu unmöglich war, ihn länger zu ertragen. Wir zogen uns so weit zurück, bis wir in die Luft kamen, welche wenigstens ohne sofortiges Erbrechen eingeatmet werden konnte, obgleich sie noch keineswegs die Bezeichnung ‚rein‘ verdiente.
Was nun noch bei den Feuern geschah, konnten wir nicht sehen, weil der zwischen uns und ihnen liegende Pestqualm so dick war, daß sie uns nur als kleine, graue Nebelpunkte erschienen. Halef machte seinem bedrängten Innern durch ein so anhaltendes Husten, Räuspern und Niesen Luft, daß ich ihn zur Vorsicht mahnen mußte.
„Vorsicht?“ fragte er im Ton der Empörung. „Du verlangst Unmögliches von mir, Sihdi! Es ist jedenfalls ganz gleich, ob ich vorsichtig oder unvorsichtig ersticke. Wie kann ein Mensch an Vorsicht denken, wenn seine Nase im tiefsten Abgrunde der Dschehennah (Hölle) steckt, während sein übriger Körper noch auf der Erde weilt? Wenn ich der Teufel wäre und für meine lieben Verdammten die schrecklichste der Qualen zu ersinnen hätte, so würde ich ihnen befehlen, die Leichen persischer Schiiten ins Feuer zu werfen und die Düfte dieser von der Sunna abgefallenen Leichen einzuatmen. Ich sage dir, du bringst mich nicht eher wieder dorthin, wo wir jetzt gewesen sind, als bis dieser Gestank der Geruchsverzweiflung sich vollständig verzogen hat!“
„Habe ich dir zugemutet, mich zu begleiten? Oder hast du nicht vielmehr mich gezwungen, dich mitzunehmen?“
„Ja, ich bin selbst schuld daran, Sihdi, daß mein ganzes Dasein sich in heller Empörung befindet; nun aber wird es keiner Macht der Erde gelingen, mich noch einmal dorthin zu locken, wo das Verderben aller wohlriechenden Nerven mir entgegengähnt!“
„So wirst du also hier auf mich warten?“
„Warten? Wieso?“
„Ich gehe natürlich, sobald der dickste Qualm sich verzogen hat, wieder hin.“
„Wieder hin? Jetzt? Bist du bei Sinnen, Effendi? Bedenke, was du tust! Wenn du dich infolge der entsetzlichen Gerüche so umkehrst; daß deine Innenseite nach außen und deine Haut nach innen kommt, so erwartest du bei mir vergeblich die Geschicklichkeit, mit dir die zum Weiterleben erforderliche Umwendung vorzunehmen!“
„Das glaube ich wohl; aber ich muß trotzdem wieder hin, wenn ich erfahren will, was dort geschieht.“
„Kannst du das nicht später auch erfahren?“
„Nein. Die Leute, welche ich beobachten will, werden, sobald sie dort fertig sind, keinen
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