21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
reite ich dich vom Stuhl herab und unter die Füße meines Pferdes! Du willst uns verurteilen, ohne gefragt zu haben, wer wir sind; ich aber frage dich: Wer bist denn du? Doch nicht etwa der hiesige Sandschaki? Wenn du der wärst, müßtest du doch wenigstens die geringen Kenntnisse besitzen, welche dazu gehören, ein ganz gewöhnliches Verhör zu leiten. Da du das aber nicht verstehst, halte ich dich für alles andere, nur nicht für einen so hohen Verwaltungsbeamten. Was sollte aus dem Reich des Padischah werden, wenn er seine Provinzen von so unerfahrenen Leuten regieren ließe. Beweise mir also, wer und was du bist, ehe du verlangst, daß wir auf deine Fragen Antwort geben! So, jetzt bin ich einstweilen fertig. Nun kannst du auch einmal sprechen, bis ich wieder anfange!“
Es herrschte tiefe Stille rund umher. So etwas war diesen Leuten noch niemals vorgekommen. Ein Christ, mehrerer Verbrechen beschuldigt, wagte es, hier vor der Mehkeme und mitten in einer schiitischen Bevölkerung in dieser Weise mit dem höchsten Beamten des Sandschak zu sprechen! Dieser selbst war wie vom Schlag getroffen. Er stotterte einige Worte, welche ich nicht verstand; darum fuhr ich fort:
„Und solltest du trotz alledem der Sandschaki sein, so fordere ich dich auf, mir vor allen Dingen zu sagen, vor was für einem Gericht wir uns befinden. Es ist unser gutes Recht, dies zu erfahren, und wir haben nicht die mindeste Lust, darauf zu verzichten. Ist es ein Scherije (Geistliches Gericht, aus lauter Mohammedanern bestehend) oder ein Nisamije (Weltliches Gericht, aus Christen und Mohammedanern zusammengesetzt)? Und wenn es ein Nisamije ist, müssen wir wieder wissen, ob wir ein Hukuk-mehkemeleri (Zivilgericht), ein Dschesa-mehkemeleri (Strafgericht) oder ein Tidschavet-mehkemeleri (Handelsgericht) vor uns haben. Gib also Antwort! Sprich!“
„Es ist ein Dschesa-mehkemeleri“, antwortete er so kurz, weil er seine Betroffenheit noch nicht zu überwinden vermochte.
„Also sind die Mitglieder nicht vom Justizministerium angestellt, sondern hier von euch selbst gewählt worden. Wer von euch ist ein Christ?“
„Niemand.“
„Niemand? Und doch wißt ihr, daß ich ein Christ bin! Ein Gericht, welchem ich mich zu unterwerfen hätte, falls ich Bewohner von Hilleh wäre, müßte aus Moslemin und Christen zusammengesetzt sein. Das mußt du wissen! Und nun gestehst du ein, daß ihr lauter Mohammedaner seid! Du hast gewußt, daß euch kein Recht über mich zusteht, und es dir dennoch angemaßt! Du hast mir Ausdrücke wie Hund, verfluchter Christ, Schmuggler, Mörder zugeschleudert und bist dir doch bewußt gewesen, daß du mir nichts, kein Wort, zu sagen, zu befehlen hast! Ich werde mich darüber bei dem Umuru alieh we meshebieh nasreti (Minister der Justiz und des Kultus) beschweren und ihm mitteilen, was für einen Sandschaki er hier in Hilleh sitzen hat! Aber es ist noch schlimmer, noch viel schlimmer, denn ich bin kein Untertan des Großherrn, sondern ein Fremder, ein Ausländer. Als solcher stehe ich nur unter der Gerichtsbarkeit meines Vaterlandes, und ihr hättet euch in dieser Angelegenheit an das Sefaret (Botschaft, Gesandtschaft) oder an die Kanschelarije (Konsulat) meiner Regierung zu wenden gehabt. Um dies nicht tun zu müssen, sondern mich ohne alles Recht verurteilen zu können, hast du mich lieber gar nicht gefragt, wer und woher ich bin; jetzt verstehe ich dich. Aber das wirst du schwer zu büßen haben, denn mein Hardschijeh nasreti (Minister des Äußern) wird von dem eurigen Rechenschaft fordern über die Gesetzwidrigkeiten und Beleidigungen, welche ich hier erduldet habe, und dann wirst du wohl erfahren, was es zu bedeuten hat, wenn ein Untertan meines Vaterlands und meines Kaisers hier, weil er ein Christ ist, nicht nur ein Hund genannt, sondern wie ein herrenloser Hund getreten und behandelt wird! Ich bin wieder fertig und erlaube dir, auch ein Wort zu sagen.“
„Wie heißest du, und welches Reich ist dein Vaterland?“
„Meine Name ist – – –“
„Halt! Laß mich an deiner Stelle sprechen!“ unterbrach mich da der Mir Alai, der meinen Worten mit größter Aufmerksamkeit gefolgt war. Und sich von seinem Sitz erhebend, rief er mit lauter Stimme: „Dieser fremde Mann heißt Emir Kara Ben Nemsi Effendi; er stammt aus dem großen, berühmten Reiche Alemanja, dessen Kaiser der Freund des Großherrn ist, und hat sich der Armen, Bedrängten und Hilflosen unseres Landes stets mit aufopfernder Liebe und Güte
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