21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
wir uns nicht zu fürchten brauchen.“
Wir waren während dieser Auseinandersetzungen so weit gekommen, daß wir jetzt el Kulea links von uns am Euphrat liegen hatten; nun ging es auf den Wardijeh-Kanal zu. Als dieser passiert worden war, erreichten wir Dschimtschima, von wo aus sich hohe Erdwälle in gerader Linie nach Nordost ziehen, um dann im rechten Winkel und nordwestlicher Richtung nach dem Fluß zurückzukehren; wahrscheinlich bezeichnen sie die Eindämmungen des früheren alten Euphratlaufs. Hierauf kamen wir an dem an allen Seiten zerrissenen Teil Amran Ibn Ali vorüber, welcher diesen arabischen Namen von einem mohammedanischen Heiligen hat, der hier begraben liegt, und sahen dann die gewaltigen Trümmerhaufen des Kasr sich erheben. Kasr heißt soviel wie Schloß; dieser Name hängt mit der Bedeutung dieser Ruine zusammen, denn das Kasr ist das Residenzschloß Nabuchodonosors gewesen, welcher sich diese Wohnung baute, nachdem seine Vorfahren in einem auf der rechten Seite des Euphrat gelegenen Schloß residiert hatten. Die Ruinen sind noch jetzt 400 Meter lang und 350 Meter breit, und doch soll dieses Schloß, wie der jüdische Geschichtsschreiber nach dem Chaldäer Berosus berichtet, in nur fünfzehn Tagen errichtet worden sein. Selbst wenn man annimmt, daß sämtliche Materialien vorher erst vollständig fertiggestellt und herbeigeschafft worden sind, um nur noch zusammengesetzt zu werden, erscheint diese Aufgabe unglaublich; allein es wurde eine jetzt in London befindliche Keilinschrift ausgegraben, welche neben andern wichtigen Stellen auch die folgende enthielt: „Ina XV yumi sibirsa usakli“, zu deutsch: ‚In fünfzehn Tagen habe ich dieses herrliche Werk vollendet‘. Wieviel Tausende von Menschenhänden haben dazu gehört, den Bau in so kurzer Zeit zustande zu bringen! Und dieses gewaltige Unternehmen war nur eines von den vielen, welche von Nabuchodonosors Unternehmungsgeist und Tatkraft zeugen! Die erwähnte Inschrift sagt freilich auch in sehr stolzer Weise in Beziehung hierauf: „Ich habe den Palast errichtet, den Sitz meines Königtums, das Herz Babels im Lande Babylonien; ich habe seine Fundamente tief unter dem Flußspiegel legen lassen; ich habe den Bau dokumentiert auf Zylindern, von asphaltiertem Mauerwerk umschlossen. Mit deinem Beistand, o erhabener Gott Merodach, habe ich diesen unzerstörbaren Palast errichtet. Möge der Gott in Babel thronen; möge er dort seine Wohnung nehmen; möge er ihre Einwohner siebenfach mehren; möge er durch mich das Volk Babyloniens beherrschen bis zu den fernsten Tagen!“ Die Heilige Schrift aber sagt: „Nachdem zwölf Monate um waren, da er auf der Burg zu Babylon wandelte, hub der König an und sprach: ‚Ist das nicht das große Babylon, das ich zur Wohnung des Königs erbaute durch meine starke Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit?‘ Und als der König das Wort noch im Mund hatte, fiel eine Stimme vom Himmel: ‚Dir, o König Nabuchodonosor, wird gesagt: Dein Reich soll dir genommen werden, und man wird dich von den Menschen verstoßen, und deine Wohnung wird bei den wilden Tieren sein; Gras wirst du fressen wie ein Ochs, und sieben Zeiten werden über dir ablaufen, bis du erkennst, daß der Allerhöchste im Reich der Menschen herrscht, und dasselbe gibt, wem er will!‘“ Dieses Gericht ging an ihm in Erfüllung, als der Größenwahn seinen Geist umnachtete. Noch nicht hundert Jahre später kam Cyrus, der Eroberer Babylons, und später machte Alexander der Große der persischen Satrapenherrschaft ein Ende, um, noch jung und voller Tatenlust, in diesem Palast zu sterben. Der ‚unzerstörbare‘, wie die Keilinschrift ihn nennt, liegt nun seit ungezählten Jahren in Trümmern!
Nördlich davon erreichten wir die Mudschelibeh, auch Maklubeh edar Babil genannt, die durch diesen letzteren Namen allein noch an das alte Babylon erinnert. Das sind die Trümmermassen der sogenannten Hängenden Gärten, deren unendlich kostspielige Anlage auf den nicht ganz geheilten Wahnsinn Nabuchodonosors deuteten.
Später passierten wir den Nil-Kanal und machten dann am Tell Ukraïneh einen kurzen Halt, um die Pferde verschnaufen zu lassen. Kein Mensch war uns bisher begegnet; jetzt aber sahen wir drei Reiter, welche es sehr eilig zu haben schienen. Sie kamen nicht direkt vom Khan Mohawid her, sondern schienen ihn in einem Bogen umritten zu haben und lenkten erst nun in den von ihm herkommenden Weg ein. Es war daraus zu schließen, daß sie Ursache hatten,
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