21 - Stille Wasser
Umweltschützer. All denen ein Begriff, die regelmäßig die wichtigeren Naturschutzmagazine und -zeitschriften lasen. Sein Name bei Senatoren und Kongressabgeordneten, die grundsätzlich gegen alles waren, das aus seiner Richtung kam, gleichsam Synonym für Quertreiber- und Dissidententum. Ein einsamer Kämpfer gegen eine Gefahr, die der Rest der Welt nicht einmal ahnte.
Eine Gefahr, die er entschlossen war, unwiderruflich auszulöschen, koste es, was es wolle.
Doch er war, wieder einmal, zu spät gekommen.
Und nun stand er abermals an diesem Gestade und blickte mit düsterer Miene hinaus auf den sanften Wellengang der allmählich einsetzenden Flut. Sie schien ihn zu verspotten; der Gleichmut, mit dem sie alle Spuren wegwischte, gleichsam ein Schlag in das Gesicht seiner Hybris.
Ich weiß, dass sie dort irgendwo sind, dachte er. Sie sind keine Hirngespinste. Sie warten. Beobachten uns. Schmieden Pläne.
Trotzdem brauchte er Beweise. Er war Wissenschaftler und kein Hexenjäger. Das Aufstellen ungesicherter Behauptungen und das grundlose Schüren von Ängsten, wo lediglich ein wenig Wachsamkeit geboten war, gehörten nicht zu seinen Methoden.
Die junge Studentin, die ihm von der örtlichen Universität zugewiesen worden war, schien von dem gleichen Schlag zu sein wie die freiwilligen Helfer: freundlich und adrett und wie besessen von dem Gedanken, die Umwelt zu retten. Aber sie besaß ausgezeichnete Zeugnisse und verfügte aller Wahrscheinlichkeit nach über beachtliches akademisches Wissen, ein Kapital, das ihren romantischen Eifer vielleicht ein wenig zu bremsen vermochte. Sie hatte sich alle Tiere, die man an den Stränden im Umkreis gefunden hatte, ausnahmslos angesehen, von dem Tag an, an dem die ersten von ihnen hereingebracht worden waren, bis zu jenem Moment, als man sie wieder in die Freiheit entließ. Einige wenige, die noch zu schwach waren, um bereits wieder für sich selbst zu sorgen, hatte man noch dabehalten. Leider handelte es sich dabei jedoch nicht um Robben, die sich in irgendeiner Weise sonderbar verhielten. Tatsächlich war in all den Tagen nicht ein einziger Seehund dort abgeliefert worden. Nur ein alter, ergrauter Seelöwe, dessen Lungen bei der Katastrophe Schaden genommen hatten, aber der war bereits in sein neues Zuhause im örtlichen Zoo überführt worden. Von Seehunden jedoch keine Spur.
Als ob jemand sie vor dem Unglück gewarnt hatte...
Lee schüttelte den Kopf und verwarf den Gedanken. Die fehlenden Berichte über in Mitleidenschaft gezogene Seehunde verwunderten ihn nicht wirklich – Selkies waren schlau und gerissen und es sah ihnen überhaupt nicht ähnlich, sich von vergleichsweise schwerfälligen Menschen einfangen zu lassen. Nein, diese fluchbeladenen Kreaturen mussten hier irgendwo sein; er konnte sie spüren, mit jeder Faser seines Körpers. Und er würde nicht zulassen, dass ein weiteres unschuldiges Küstenstädtchen zum Opfer ihrer niederträchtigen Bosheit wurde. Die Legenden, in denen von ihnen als Engelswesen gesprochen wurde, die vom Himmel herab auf die Erde gekommen waren, legten lediglich Zeugnis ab von der Ratlosigkeit, mit der die Menschen vergangener Jahrhunderte der widersprüchlichen Natur dieser Geschöpfe begegneten: die Gesichter von Engeln, die Augen von Märtyrern – und die Herzen von Teufeln.
Oh Gott, wie melodramatisch. Lee grinste in sich hinein, selbstkritisch genug, um sich vorstellen zu können, wie seine Gedanken auf jemand anderen wirken mussten.
Doch melodramatisch oder nicht, es entsprach der Wahrheit. Die Selkies waren seelenlose Wesen, ohne jeden Sinn für Ethik und Moral. Sie spielten mit den Menschen wie die Katze mit der Maus, zu ihrem eigenen Vergnügen, rissen sie nur so zum Spaß mal eben in Fetzen und ließen sie dann achtlos liegen wie ein langweilig gewordenes Spielzeug.
Aber hier gab es für ihn nichts mehr zu tun. Nicht im Augenblick zumindest, nicht während der Flut. Er ging zu seinem Wagen zurück, um zum Institut für Meeresforschung aufzubrechen, wo er sich mit den E.L.F.-Gruppenleitern treffen wollte. Vielleicht konnte er ihnen ein wenig ihre blutenden Herzen öffnen...
Schluss damit, schalt er sich selbst, wütend über den galligen Zynismus, den er in letzter Zeit immer häufiger bei sich feststellte. Er hatte die E.L.F. aus eben den Beweggründen ins Leben gerufen, aus denen sie sich ihr angeschlossen hatten: Er wollte den Bürgern dieses Landes die Möglichkeit geben, sich aktiv an der Errettung jener
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