21 - Stille Wasser
sagte Willow indigniert. »Komm schon, Buffy, sie ist eine von den Guten. Du weißt schon, die in Frieden mit ihren Nachbarn leben, keine Menschen fressen oder fiese Zaubersprüche ablassen oder sonst irgendetwas in dieser Art. Und du kannst doch unmöglich diese blöde Geschichte glauben, die Xander da ausgegraben hat, die, in der behauptet wird, dass Selkies gefallene Engel seien, die ins Meer verbannt wurden, weil sie sich gegen Gott aufgelehnt haben? Dass sie, du weißt schon, seelenlose Wesen seien, wie Dämonen?«
»Hey. Höllenschlund. Hier sollte man grundsätzlich nichts von vornherein ausschließen, auch wenn es noch so fantastisch klingt. Das ist es doch, was Sie mir tagaus, tagein einzuhämmern versuchen, oder etwa nicht?«
Giles seufzte. »Es gibt weder etwas Dämonisches noch etwas Engelhaftes an den Selkies. Sie sind ganz normale sterbliche Wesen und ebenso von unserem Ökosystem abhängig wie wir – vielleicht sogar ein bisschen mehr.«
»Ja«, entgegnete Buffy unbeeindruckt, »und außerdem sind Seehundbabys ja so unglaublich süß.«
»In der Tat, das sind sie. Und ich verwechsle Ariel mitnichten mit einem menschlichen Kind, glaub mir. Sie ist durch und durch ein Geschöpf der ungezähmten Natur.« Giles schnaubte. »So bezaubernd sie auch ist, ich bin es wirklich leid, ständig irgendwelche zerbrochenen Gegenstände oder zerwühlte Unterlagen vorzufinden, vorausgesetzt, sie hat sie ausnahmsweise mal nicht ganz verschwinden lassen.«
»Okay. Robbe. Seehundbaby. Kind. Was auch immer. Alles klar. Hab’s begriffen.« Buffy drängte jeden weiteren Anflug von Paranoia entschlossen zurück. »Tut mir Leid. Ignoriert mich und meine unkonstruktiven Beiträge einfach. Ihr wisst ja, wenn niemand da ist, mit dem ich mich rumprügeln kann, werd ich immer ein wenig gereizt.«
Ein Lächeln erschien auf Willows Gesicht: Alles vergeben und vergessen. Giles sah die Jägerin noch einen Moment lang an, dann wandte er sich wieder seiner Lektüre zu.
Buffy spähte über ihre Schulter zu Ariel hinüber. Ihre Blicke trafen sich. Diese großen dunklen Augen waren mit einem Mal absolut unauslotbar.
Absolut fremdartig.
Absolut beängstigend.
Das mobile Labor war zwar nicht auf dem neuesten Stand der Technik, doch es erfüllte seinen Zweck durchaus: Es bot Biologenteams in Notfällen eine solide Operationsbasis und Unterkunft, sei es bei Naturkatastrophen, nach von Menschenhand verursachten Desastern oder auch nur für den Fall, dass kein besserer, für permanenten Gebrauch eingerichteter Laborraum zur Verfügung stand. Das Institut besaß drei dieser sündhaft teuren Einsatzfahrzeuge und nicht eines von ihnen durfte die Tiefgarage verlassen, ohne dass zuvor die Erlaubnis von allerhöchster Ebene eingeholt worden war, in dreifacher Ausfertigung, auf zwei unterschiedlichen Formularen.
Zur Zeit stand der übergroße Truck, der offiziell bereitgestellt worden war, um bei der Beseitigung der Schäden zu helfen, die durch das aus der Roxanne ausgelaufene Rohöl verursacht worden waren, auf dem unter spätnachmittäglichen Schatten liegenden hinteren Parkplatz eines Motels. Die Computersysteme waren heruntergefahren und technisches wie medizinisches Gerät lagerte sorgsam verschlossen in Behältern und Schränken. Die einzige spärliche Lichtquelle stand auf einem schmalen Schreibtischmodul, das an der hinteren Wand zwischen die Apparaturen gequetscht worden war.
An diesem Tisch saß Dr. Lee und verglich den endlos langen Computerausdruck vom Institut für Meeresforschung mit seinen eigenen Aufzeichnungen, die er von dem Bildschirm eines kleinen Notebooks ablas.
»Das kann nicht sein«, murmelte er. »Alle Berichte, die ich erhalten habe, deuten darauf hin, dass sich hier irgendwo eine Kolonie befinden muss. Sie können unmöglich davongekommen sein, nicht alle.«
Neben seinem portablen Rechner lag eine Mappe in schlichtem Grün, aus der lauter Zeitungsausschnitte hervorquollen. Reißerische Headlines wie »Junges Mädchen, 20, beim Baden ertrunken« oder »Vater ertränkte seine eigenen Kinder« bildeten einen merkwürdigen Kontrast zu der streng wissenschaftlichen Atmosphäre, die in dem fahrbaren Labor herrschte. Einige Textstellen waren gelb markiert oder rot unterstrichen, und von Zeit zu Zeit legte Lee wie geistesabwesend eine Hand auf den Ordner, beinahe wie ein Priester, der versonnen seine Bibel streichelt, oder ein Jäger seinen Lieblingshund.
Doch... dieser Computerausdruck... dieser vermaledeite
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