21 - Stille Wasser
»Zuerst hätten wir da die Produzenten, das sind vor allem Pflanzen; von denen ernähren sich die Primärkonsumenten, mehr oder weniger kleine Beutetiere, die gleichzeitig die Nahrungsgrundlage für kleinere Raubtiere, Fleischfresser also, bilden; und die wiederum werden dann von den größeren Raubtieren aufgefressen. Und so sind alle glücklich und zufrieden – na ja, mit Ausnahme vielleicht derer, die immerzu gefressen werden«, fügte sie stirnrunzelnd hinzu. »Ich meine, glücklich und zufrieden mehr im Sinne einer funktionierenden Nahrungskette.«
»Und die wurde durch die Ölpest aus dem Gleichgewicht gebracht«, konstatierte Xander. »Folglich finden die Merrows im Wasser nichts mehr zu futtern.«
Willow nickte. »Hier in Sunnydale stehen die Vampire am oberen Ende der Nahrungskette. Sie sind enorm widerstandsfähig, ausgezeichnete Jäger und außerdem allen anderen Kreaturen, die hier leben, an physischer Kraft haushoch überlegen. Doch nun tauchen plötzlich die Merrows auf und machen ihnen ihre Position in der Nahrungskette streitig. Es gibt hier keinen Platz für beide Spezies.«
»Es gibt hier nicht mal Platz für eine von ihnen«, sagte Buffy grimmig. »Nicht, solange ich hier die Jägerin bin.«
»Ja. Nun gut«, meinte Giles. »Ich würde vorschlagen, wir kümmern uns zunächst um die Merrows. Ich sag’s ja nur ungern, aber im Augenblick scheinen mir die Vampire das kleinere Übel zu sein.«
Xander schüttelte den Kopf. »Und wir hassen es geradezu, wenn Sie so was sagen, Giles.«
Der schwache Schein des Zodiakallichts erhellte den nächtlichen Himmel und gaukelte einigen frühen Singvögeln das Herannahen des Tages vor. Doch trotz ihres zögerlichen Gezwitschers würde bis zur Dämmerung noch einige Zeit vergehen. Es war immer noch die Stunde der Vampire.
Aber in dieser Nacht folgten ihre Streifzüge einem Plan.
»Siehst du irgendwas?«, zischte ein staksender Vampir einem anderen zu. Seine kraftvoll vorwärts drängenden Schritte verrieten immer noch den durchtrainierten Football-Spieler, der er zu Lebzeiten gewesen war. In seinen derben Gesichtszügen stand blanker Hass. Er hatte gesehen, wozu diese Kreaturen fähig waren, und er würde viel darum geben, es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Niemand vergriff sich ungestraft an seiner Beute. Niemand.
»Nein«, knurrte der zweite Vampir, eine Frau mit knochigem und hagerem Gesicht, gereizt. »Nicht mal irgendein Opfer. Und du?«
Der erste Vampir ballte seine Klauen zu Fäusten. »Nichts. Bis jetzt.«
Weder sie noch er waren über die Gesellschaft des anderen sonderlich erfreut: Kein Vampir fügte sich gern in eine Gemeinschaft, nicht ohne einen Meister, dem es zu folgen galt. Doch in stillschweigender Übereinkunft hatten sich die Vampire Sunnydales, dem Gebot der Stunde folgend, zusammengeschlossen. Für eine Nacht. Oder für länger, falls dieser Belagerungszustand andauern sollte.
Der Wind änderte leicht die Richtung und wehte einen neuen Geruch zu ihnen herüber.
»Salz«, stellte der erste Vampir knapp fest und rannte auch schon los.
Seine Begleiterin setzte hinter ihm her und Sekunden später hatten sie den einzelnen Merrow, allem Anschein nach ein reichlich untalentierter Kundschafter, gestellt. Er fauchte und schlug mit den Klauen um sich, versuchte seine spitzen Zähne in ihr totes Fleisch zu schlagen, aber es dauerte nicht lange, da kamen weitere Vampire herbeigerannt, angelockt von dem Geruch nach Meer und Blut. Kein Menschenblut, nichts, was sich zu trinken lohnte, doch diesmal ging es um mehr.
Knurrende Laute und Schreie drangen durch die Stille der Nacht – und dann das leise, hässliche Geräusch von Fleisch, das in Fetzen gerissen wird..
Die Vampire richteten sich wieder auf und spuckten aus, um den Geschmack des viel zu salzigen und ungenießbaren Bluts aus ihren Mündern zu bekommen. Einige torkelten wie betrunken umher, geschwächt von dem Gift, das den Klauen der Kreatur entströmt war. Der Körper des Merrows lag, in kleine Stücke zerfetzt, verstreut am Boden.
Sie konnten keine Wilderer dulden. Und sie würden es auch nicht.
Der Krieg hatte begonnen.
13
Er konnte sich nicht erklären, warum er hierher zurückgekehrt war. Den Täter, den es immer wieder zum Ort des Verbrechens zog, gab es nur in Kriminalromanen, in denen ein brillanter Detektiv aus ein paar heruntergedrückten Teppichfasern messerscharf schloss, dass der Mörder fünfunddreißig Jahr alt sein musste, ein Meter zweiundachtzig groß
Weitere Kostenlose Bücher