210 - Unter dem Vulkan
machte wirklich einen zerknirschten Eindruck.
Andererseits ließ sein Verhalten sich aber nicht so deuten, dass es Rulfan im Salonwagen schlecht ging.
Matt wandte sich im Sattel um. Das Fenster, hinter dem er das Gesicht gesehen hatte, stand offen. Niemand war zu sehen.
Ob es unfein war, sich nach dem Namen und der Stellung der Dame zu erkundigen? Er kannte die örtlichen Sitten nicht – der ganze Kontinent war ihm fremd. Doch andererseits wirkte der Doctorus wie ein gebildeter Mitteleuropäer, den man alles fragen konnte.
Matt machte die Probe aufs Exempel. »Wie heißt die Dame?«, erkundigte er sich. »Und wer ist sie?«
»Ihr Name ist Almira. Sie ist die künftige Gattin des Propheten Magnan.«
»Des Propheten Magnan?« Matt horchte auf. »Wer ist das? Ein… ähm… religiöser Führer?«
Noah zuckte die Achseln. »Manche Menschen sagen, er hätte eine prophetische Gabe.« Er spitzte die Lippen. »Ich kenne ihn als recht weltlichen Führer: Er schätzt das offene Wort und verbrämt nie seine Ansichten. Unserem Kaiser ist Maitre Magnan ein Dorn im Auge, weil die moderne Welt ihm gestohlen bleiben kann.«
»Ist er so etwas wie ein Traditionalist?«
»Ein erzreaktionärer Schmock, würde ich sagen, der genau weiß, dass die moderne Welt seinen eigenen Einfluss irgendwann eindämmen wird.« Noah grinste vor sich hin.
»Aber er ist nicht unsympathisch.«
Matt nahm Noahs Worte mit Erstaunen zur Kenntnis. Vom Untertan eines Provinzhäuptlings erwartete er so etwas nicht.
Er hätte gern mehr über den Charakter der Religion erfahren, die der Prophet predigte, doch irgendwie befiel ihn die Furcht, die 712. Fassung des ewig gleichen Unfugs zu hören: Wenn du nicht tust, was der Oberpriester befiehlt, wirst du in der Hölle braten.
»Wie bist du an seinen Hof gelangt?«
»Hof?« Noah grinste. »Ich kam als Gefangener zu ihm.«
Die geschwächten letzten Angehörigen seiner Expedition waren am Fuß des Kilimandscharo von einer marodierenden Räuberbande massakriert worden. Ihn hatte man gefangen genommen. Kurz darauf hatte eine Fliegende Einheit des Propheten das Versteck der Banditen ausgeräuchert. Die gefangenen Räuber waren dem Vulkangott Papa Lava geopfert worden, weil er weniger Schäden anrichtete, wenn man ihn bei Laune hielt. Dank seiner hellen Haut und seines Sprachtalents hatte Noah nachweisen können, dass er nicht zu den Räubern gehörte. Man hatte ihn vor die Wahl gestellt, in den höheren Dienst des Propheten einzutreten oder in seinen Steinbrüchen zu arbeiten.
»Ich hab nicht lange überlegt.« Noah grinste. »Nur ein absoluter Dämel hätte den Steinbruch gewählt.«
»Hattest du keine religiösen Bedenken?«, fragte Matt. »Ich meine, wo du doch…«
»Papperlapapp.« Noah schüttelte den Kopf. »Denkst du, nur weil ich Noah heiße, muss ich glauben, dass ein Mann gleichen Namens von jeder Tierart ein Pärchen mit an Bord seiner Arche genommen hat, damit sie die Sintflut überleben konnten?« Er schlug nach einer Mücke, die hartnäckig vor seiner Nase kreiste.
»Du brauchtest also keinem Glauben abzuschwören, um in die Dienste des Propheten zu treten?«
»Nein.« Noah schüttelte den Kopf. »Maitre Magnan ist eigentlich ganz weltlich eingestellt.« Er schaute sich argwöhnisch um. Die Kutschen und Reiter waren weit hinter ihnen. »Er interessiert sich, offen gesagt, mehr für dralle Weiber.«
Matt musste lachen. War dies positiv zu bewerten? Ein Spruch aus der Jugend seines Vaters fiel ihm ein: MAKE LOVE, NOT WAR. Seinen Erfahrungen zufolge waren Menschen mit einem funktionierenden Liebesleben an Kriegen nicht sonderlich interessiert. Doch konnte man Männern trauen, die sich einen Harem hielten?
»Woran denkst du, Maddrax?«, fragte Noah plötzlich.
Matt zuckte zusammen. »An eine gute Freundin«, log er, da er plötzlich eine Möglichkeit sah, etwas mehr über diesen Kontinent und seine Bewohner zu erfahren. »Ihretwegen sind Rulfan und ich nach Afrika gekommen.« Er erzählte die nicht undramatische, aber leicht abgewandelte Geschichte seiner Gefährtin, die mit einem Ballonpiloten und angeblichen Prinzen in Richtung Victoriasee verschwunden war.
»Oh, in diesem Land gibt es wirklich viele Prinzen«, sagte Noah daraufhin. »Und viele sind tatsächlich in den Lüften unterwegs.« Er deutete zum Himmel hinauf. »Viele sind hellhäutig, wenn auch nicht so hell wie wir. Ich bin einigen dieser Flieger begegnet. Sie haben mich immer mit ihrem Wissen verblüfft und verstehen sich
Weitere Kostenlose Bücher