210 - Unter dem Vulkan
dann das schöne weiße Haar! Der Mann war überhaupt hellhäutiger als alles, was sie je gesehen hatte. Rulfan war bestimmt weißer noch als der Kaiser.
Sie lugte um die Ecke. Er lag auf der Matratze, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und schaute sie aus relativ klaren Augen an.
»Wer bist du?« Er sprach Angliz, wie die Kolonialwarenhändler aus den alten Sagen.
»Almira, die künftige Gattin des Propheten.«
»Ist das hier ein Hospital?« Rulfan klang ein wenig heiser.
»Ist verdammt heiß hier drin.«
»Du hattest… Fieber.« Almira huschte zu ihm hinein und hockte sich neben ihn. »Doctorus Noah hat dir Medizin gegeben. Geht es dir besser?«
»Da ich nicht mehr weiß, wie es mir vorher ging, sag ich mal: Es ist mir schon schlimmer gegangen.«
Almira reichte ihm eine Schale mit Wasser. »Hast du Durst?«
»Und wie.« Rulfan trank diszipliniert. »Wo ist mein Begleiter?«
»Maddrax? Draußen. Er ist den ganzen Tag geritten. Auf einem Kamshaa. Es heißt Jossele. Er unterhält sich auch mit dem Doctorus.«
»In welcher Sprache?«
»Angliz. Wie du und ich.«
»Woher kennst du diese Sprache?«
»Onkel Jules hat sie mir beigebracht. Seine Boiis sprechen sie auch. Fast alle am Kaarosee sprechen Angliz. Wie sollten sie sich sonst verständigen?«
»Ist auch wieder wahr.« Rulfan seufzte.
Almira hatte den Eindruck, dass er sich nach etwas sehnte.
Vielleicht nach Zärtlichkeit? Sie hatte ihren Plan, nicht als Jungfer in die Hände des Propheten zu fallen, noch nicht aufgegeben.
Sie beugte sich über Rulfan und schaute ihn im Licht der Öllampe, die von der Decke hing, genau an. War er viel älter als Onkel Jules?
War das nicht egal? War er nicht anders als alle anderen?
War er nicht viel muskulöser und männlicher als dieser einfältige Bauerntölpel Danjeel aus dem Kudu-Dorf?
»Sag mal, Rulfan«, hauchte sie mit pochendem Herzen.
»Magst du Frauen?«
»Was?« Rulfans Kopf zuckte herum. Er war wohl gerade nicht bei der Sache gewesen. Doch nun, als er sie zum ersten Mal aus der Nähe sah, schien ihm schlagartig klar zu werden, dass sie keine Krankenschwester war.
Almira war noch nie im Leben einem erwachsenen Mann so nahe gewesen. Plötzlich merkte sie, wie rasend schnell ihr Herz pochte. Was für ein Mannsbild, durchzuckte es sie. Der Prophet könnte es niemals mit einem solchen Kerl aufnehmen!
Ihr wurde schlagartig bewusst, dass Rulfan und kein anderer – und wenn doch, dann höchstens Maddrax oder Doctorus Noah – der Mann fürs Leben war. Wenn nicht, war er jedenfalls mit Sicherheit der Mann, dem eine junge Frau mit Freuden ihre Unschuld schenkte!
Draußen war es dunkel, hier drin bebten ihre Schenkel. Sie streckte die Hände aus und spürte, dass der muskulöse Mann, dem in dieser Sekunde all ihr Sinnen und Trachten galt, sich versteifte.
Überall. Nur dort nicht.
»Was ist?«, flüsterte die in Leidenschaft entbrannte Almira und küsste ihn aufs Ohrläppchen. »Magst du mich nicht?«
»Ähm…« Rulfans Stimme klang heiser – zweifellos vor Erregung. Vielleicht auch vor Verlegenheit. »Hör mal…« Er hüstelte. »Wie heißt du noch mal?«
Almira löste sich frustriert von ihm. Sie hatte ja völlig vergessen, dass er krank war.
Oje, Almira, dachte sie, du hast ihm wohl ein bisschen viel zugemutet. Sie räusperte sich und wiederholte ihren Namen.
»Mir tun alle Knochen weh«, sagte Rulfan. »Ich bin noch immer wahnsinnig durstig.«
»Entschuldige.« Almira füllte seine Schale aus einem Krug nach und reichte sie ihm.
Rulfan trank, und sie schaute ihm selig zu. Was für ein schöner Mann! Sie würde ihn erobern. Die Fahrt zum Kilmaaro war weit. Sie würde genug Zeit haben, ihn zu verführen, damit er sie von diesem dämlichen Häutchen befreite.
Sie wollte keine Jungfer mehr sein! Wenn sie keine Jungfer mehr war, brauchte sie sich auch keine Sorgen mehr über ihren künftigen Ehemann zu machen.
»Na, dann später«, sagte sie leise und tätschelte seinen Oberschenkel.
»Ja, klar«, murmelte Rulfan und legte sich hin.
Sekunden später verkündeten seine Atemzüge, dass er wieder eingeschlafen war.
Almira war traurig. Ihr war auch schrecklich heiß. Es war vielleicht ganz gut, wenn sie sich erst mal abkühlte. Oder stiften ging. Vielleicht war die Gelegenheit ja günstig. Sie musste nachdenken. Am besten an der frischen Luft.
Aber Morgen war ja auch noch ein Tag. Oder? Nein, es musste gleich sein. Oder?
***
Die Nacht war hell und klar.
Der namenlose Fluss
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