2119 - Der letzte Sturm
aufwachte. Sie wollten, dass er ihnen half. Sie wollten, dass er die RIGO von dem Gipfel abheben ließ und sie zum Nordkontinent steuerte. Eshmatay war in der Lage, die hyperphysikalischen Ströme zu ahnen, die über dem Bittermeer tobten. Er erkannte jeden Hypersturm schon im Ansatz und konnte darauf reagieren. Er vermochte sogar die „normalen" Stürme und Unwetter vorauszufühlen.
Aber Ben war besser. Er hatte das bessere Gespür. Er und Eshmatay - sie beide konnten es gemeinsam schaffen, das Bittermeer mit seinen Stürmen noch einmal zu überqueren, gegen die herrschenden Strömungen.
War es wirklich das, weshalb er noch nicht in Anguelas Reich eingehen konnte? Musste er ihnen helfen?
Musste er noch einmal aufstehen aus dem Todesschlaf? War es das, was noch von ihm verlangt wurde?
Der letzte Sturm... Sie kam näher. Sie rollte schon an ...
Alles in ihm sehnte sich nach dem endlosen, irgendwann verstummenden Schlaf, verebbend wie die Flut des an die Küste schlagenden Bittermeers. Aber andererseits wusste er, dass er keine Ruhe rinden würde, solange er nicht...
Er öffnete alle vier Augen. Er sah Tess, Ailey und Ben über sich gelehnt, die Hände auf den großen Kartentisch gestützt. Er sah die Frage in ihren Augen. Sie warteten. Warteten darauf, dass er sich rührte.
Und da begriff er endgültig, weshalb er noch lebte. Anguela wollte es so. Sie holte ihn nicht zu sich in ihr Reich, bevor er nicht seine letzte Aufgabe erfüllt hatte.
*
„Endlich!", sagte Tess Qumisha, als der Luftschiffskapitän alle vier Augen auf sie und die anderen richtete. „Endlich kommst du zu dir."
„Es ist ein Wunder!", sprudelte Ailey los. „Er lebt tatsächlich noch. Er ist zu uns zurückgekommen.
Welch ein Wunder! Er erkennt uns, seht ihr das nicht? Er sieht uns an! Jetzt wird alles wieder gut! Oh, führ uns wieder nach Hause, nach Kaza! Ich weiß, du wirst es schaffen! Bring uns mit der RIGO zurück, und du wirst..."
„Halt's Maul!", sagte Eshmatay Amgen.
Das war alles für die nächsten Sekunden. Der alte Kapitän richtete sich endgültig auf und stand schwankend da, jedes der vier Augen auf einen der drei Passagiere und Ailey gerichtet. Er bewegte die breiten Lippen, bevor er weitersprach: „Anguelas Ruf hat mich noch nicht erreicht. Deshalb werde ich euch weiter helfen, solange ich es kann."
„Wir müssen von hier weg!", sagte Benjameen da Jacinta.
„Das weiß ich bereits", antwortete der alte Fährmann. „Ailey, geh an deinen Posten!"
„Bin schon dabei, Chef!" Der Maschinist kletterte hoch in den Ballon, zu seinem Arbeitsplatz und den Maschinen.
„Es ist dringend!", sagte Benjameen da Jacinta mit einem Blick hinaus, wo sich im Tal der Brand weiter in die Gallertmasse, das ehemalige Gesicht, hineinfraß. Er spürte, wie es schrie und starb.
„Rishtyn-Jaffami ist tödlich verwundet. Er ist verloren. Der Große Graue ..."
„Wer, zum Teufel, ist der Große Graue, Ben?", fragte Tess aufgebracht. „Was hast du erlebt, während du schliefst? Bist du in deinem Traum einem Wesen namens Rishtyn-Jaffami begegnet? Falls ja, was hat es mit dem Gallertklumpen dort unten im Tal zu tun?"
„Vieles", antwortete Benjameen und erschauderte, als die Erinnerung in ihm hochkam. „Alles."
Tess wusste nicht, wie nahe sie der Wahrheit kam, aber noch war es zu früh für einen Bericht. Zuerst mussten sie das offene Bittermeer erreichen. So lange musste sie sich gedulden.
„Ich bin bereit", sagte Eshmatay Amgen mit müder Stimme und sah Benjameen abwartend an.
Der Arkonide warf einen Blick auf den Gebäudekomplex unter ihnen und sah die Valenter und Messerwerfer, die sich zwischen den drei Komponenten bewegten. Nichts verriet aber, dass sie in Aufruhr waren. Die Geschützstellungen blieben unbesetzt. Von dem entfernten Flughafen starteten keine neuen Maschinen.
War es denkbar, dass die Valenter den Anfang des Endes von Rishtyn-Jaffami bisher gar nicht registriert hatten?
Benjameen riss sich von dem Gedanken und dem Anblick los und stellte sich neben den Kapitän. Er sah, wie Amgens Stachelhaare „spielten" und auf die Hyperströmungen reagierten, die sie umgaben.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Er hörte die Motoren der RIGO, hörte auch, wie ihr einziger Propeller anlief. Und dann spürte er sie wieder, die paramentalen Strömungen des Kontinents Sikma. Es war wie beim Hinflug. Benjameen stand starr wie eine Marionette und sagte zu Eshmatay Amgen, was er fühlte. Er gab ihm einen Kurs an,
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