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215 - Die Macht des Sehers

215 - Die Macht des Sehers

Titel: 215 - Die Macht des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Kriegsbemalung traktierte ihn mit Landkarten, die er auf eine Tafel zeichnete, und mit weitschweifigen Erklärungen seiner militärischen Strategie.
    Ging das schon zwei Stunden lang so, oder gar schon drei?
    Yann wusste es nicht – er hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
    Die Stimme des widerlichen Kriegers dröhnte ihm in den Ohren, das Kratzen der Kreide auf der Tafel zerrte an seinen Nerven. Er hatte genug, ein für alle Mal genug. Das Ende, die Stille, das Nichts – das war es, wonach er sich sehnte.
    Irgendwann schien jemand mit einem Vorschlaghammer gegen die Tür zu dreschen. Yann kniff die Augen zusammen.
    Woyzakks tiefe Stimme ertönte. »Komm herein!« Der Große Kriegshäuptling Wyluda brüllte mit Absicht. »Unser Seher wartet schon sehnsüchtig!«
    Ein Türflügel öffnete sich quietschend. Nacheinander schaukelten zwei hünenhafte, grobschlächtige Burschen herein.
    Woyzakk kam nicht allein zurück: Sein einäugiger Zwillingsbruder Loykass begleitete ihm. Der Anblick seines zerschlagenen Gesichtes tröstete Yann ein wenig.
    Vor dem Seher blieben die Kerle stehen. Loykass hielt einen kleinen Lederschlauch zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Gib ihm das Zeug«, forderte Wyluda.
    Loykass senkte den Arm mit dem Gefäß. Als Yann zugreifen wollte, zog er ihn schnell wieder hoch und grinste höhnisch. In Gedanken segnete der Seher die Kriegerin, die dem Unhold das Auge ausgeschlagen hatte.
    »Gib ihm das Zeug, hab ich gesagt!«, blaffte Wyluda.
    Loykass warf Yann den Flüssigkeitsschlauch zu und schnaubte verächtlich. »Aber nicht alles auf einmal!«, warnte er. »Sonst bist du gleich wieder weg vom Fenster!«
    Der Seher dachte an die arme Keetje, während er den Schlauch aufschraubte. Sie würde ihn verstehen, sie würde ihm verzeihen. Er stand auf und setzte das Mundstück an die Lippen. Auf einen Zug leerte er das Ledergefäß. Er schluckte noch einmal und warf einen letzten Blick auf Wyluda und seine beiden Totschläger. Schon spürte er, wie seine Knie nachgaben und ihm schwarz wurde vor Augen, »Soll euch doch der Schaitan holen«, flüsterte er und kippte nach hinten über das Begrenzungsmäuerchen hinweg.
    Rücklings schlug er auf dem Wasser auf. Der Teppich aus Kotbrocken, Algen und Schleim teilte sich, Yann Haggard versank im Bassin. Sofort waren die Raubfische über ihm, doch das drang ihm schon nicht mehr richtig ins Bewusstsein.
    Wyluda und seine beiden Krieger aber sahen es genau.
    »Rausholen!«, brüllte der Große Kriegshäuptling. »Holt meine Geheimwaffe aus dem Wasser! Schnell, sonst fressen meine Fischlein sie auf!«
    Loykass riss sich seine Armbrust vom Rücken, legte einen Pfeil ein und schoss vom Beckenrand aus auf die gierig schnappenden Räuber. Da er nicht gewohnt war, mit einem Auge zu zielen, traf nur jeder zweite Schuss. Woyzakk riss seine Axt aus dem Gurt und sprang ins Bassin. Während er auf die Raubfische einschlug, tänzelte Wyluda um das Bassin herum und tobte. »Meine Fische! Meine Geheimwaffe! Meine geliebten Fischlein!«
    Irgendwann packte Woyzakk den leblosen Körper des Sehers, hievte ihn sich auf die Schulter und watete an den Rand des Beckens. In roten Schlieren durchzog jetzt Blut das schmutzige Braungrün des Wassers. In mindestens ein Dutzend Kadaverteile zerhackt, schwammen die toten Raubfische zwischen den zerfetzten Wasserpflanzen.
    Woyzakk reichte den Körper des Sehers zu seinem Bruder hinauf. Der packte ihn und legte ihn vor der Begrenzungsmauer auf den Steinboden.
    »Meine Fischlein!«, jammerte der Große Kriegshäuptling.
    Mit hochgezogenen Schultern stand er auf der Mauer, presste die gefalteten Hände an Kinn und Unterlippe und jammerte immer wieder: »Meine armen, armen Fischlein!«
    Irgendwann fand er sich endlich mit dem Verlust ab. Er warf einen feindseligen Blick auf den bewusstlosen Yann, der links neben ihm unter der Mauer lag und röchelnd atmete.
    Seine linke Hand lag in einer sich langsam vergrößernden Blutpfütze: Die Raubfische hatten ihm den Ringfinger und den kleinen Finger abgebissen. Auch das Haar des Sehers war auf der rechten Seite voller Blut – die Fische hatten sein Ohr gefressen.
    »Holt den Bader!«, knurrte Wyluda mit finsterer Miene.
    »Schnell!«
    Loykass marschierte zur Tür und verschwand auf dem Gang dahinter. Woyzakk ließ sich stöhnend neben dem besinnungslosen Yann nieder. Mit beiden Pranken packte er seinen blutverschmierten Fuß und hob ihn hoch: Drei Zehen fehlten. Er löste seinen Gurt, zog den Hosenbund ein

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