2151 - Zentrum der Inquisition
„Kursziel?"
„Nach wie vor unbekannt. Selbst wenn wir den Flugvektor verlängern, berührt die Linie keine markanten Systeme."
„Sie fliegen alles andere als Höchstgeschwindigkeit ...", sinnierte die Kommandantin, verschränkte die Hände und stützte das Kinn in das Dreieck, das beide Daumen gemeinsam mit dem linken Zeigefinger bildeten. Eine Weile verfolgte sie die kaum merklichen Veränderungen in der Holokugel. Die eingeblendeten Hochrechnungen verrieten eine sinkende Geschwindigkeit, momentan lag sie bei wenig mehr als dreißig Millionen Licht. Die Flotte legte demnach noch siebenundfünfzig Lichtjahre in der Minute zurück. „Dass der Satellit nicht zur Festung der Inquisition zurückkehrt, ist klar", sagte Vorua Zaruk unvermittelt. Die nut 1,51 Meter kleine Epsalerin maß in den Schultern beachtliche 1,38. Wer sie nicht kannte, hatte es schwer, in ihr auf Anhieb eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts zu erkennen. „Du wiederholst Tatsachen", murrte Bruno Thomkin. 1,94 groß und ziemlich dürr, war er Voruas genaues Gegenstück. Trotzdem brodelte die Gerüchteküche, ob beide mehr miteinander verband als nur ein häufiger verbaler Schlagabtausch. Es gab Besatzungsmitglieder, die Bruno und Vorua in fast schon intimer Nähe im Freizeitbereich auf den oberen Decks gesehen haben wollten. „Man kann die Wahrheit nie oft genug sagen", konterte die Epsalerin. „Nur dann prägt sie sich fest ein."
„Welche Wahrheit meinst du?" Thomkin zwirbelte seinen grauen Schnauzbart. „Es gibt die Wahrheit von Leuten mit besonders stark ausgeprägter Phantasie, die Mysterien in ganz banale Geschehen hineingeheimnissen ..."
„Ich rede von der Wahrheit da draußen, von nichts anderem." Vorua seufzte gequält. „Der Satellit fliegt eine Werft an - und ich versuche mir seit Minuten auszumalen, was für ein gewaltiges Gebilde diese Werft sein muss."
„Wir werden es hoffentlich bald erfahren", sagte Benjameen da Jacinta.
Vorua Zaruk lachte dumpf und kratzte sich die haarlose Schädeldecke. „Ich für meinen Teil bin schon gespannt darauf, die Werft und den Satelliten zum Greifen nahe zu haben. Ich will wissen, was sich hinter der Inquisition verbirgt."
„Ungeduld ist ein schlechter Ratgeber", warnte Benjameen. „Der Überlichtfaktor sinkt weiter ab, unterschreitet soeben neunundzwanzig Millionen!", meldete Cita Aringa.
Grek hatte sich an einem Infoplatz niedergelassen, von dem aus zwar kein Zugriff zu den Stationen möglich war, der aber dennoch umfassende Datenabfragen ermöglichte. Den Kontursessel füllte er völlig aus; für die Terraner waren allerdings weniger seine 2,15 Meter Körpergröße imposant als vielmehr die Schulterbreite von 1,42 Metern. In der für ihn giftigen Sauerstoffatmosphäre trug er seinen Raumanzug permanent. Lediglich seine Kabine im Außenbereich des Zentraledecks war mit der gewohnten Wasserstoff-Ammoniak-Methan-Atmosphäre geflutet worden, dort herrschte die für ihn angenehme Temperatur von fünfundachtzig Grad Celsius. Mit einem Frösteln entsann sich Grek seines ersten Eindrucks von der JOURNEE: ein verwirrendes Schiff, in dem sich Logik und menschliche Gefühle vermischten - ein Schiff, das geschaffen worden war, der Technik Höchstleistungen abzufordern, aber von seiner Besatzung irgendwie verändert wurde. Genau dieses „Irgendwie"konnte Grek nicht eindeutig definieren.
Eine Symbiose aus Technik und menschlicher Prägung war entstanden, gezeichnet von unnützen Dingen, die an Bord eines Maahkraumers niemals Platz gefunden hätten. Während er Details der Ortungsdaten anforderte, rief Grek sich das Bild der Cafeteria in Erinnerung. Ebenso gut konnte er die Schiffsmesse als Beispiel heranziehen. Fast überall, wo Terraner in größerer Zahl zusammentrafen, gab es holografische Darstellungen. Welchen Nutzwert hatte es, die Mittagsmahlzeit unter dichten Baumwipfeln einzunehmen, mit Blick auf ein fernes und schneebedecktes Bergmassiv? Oder vom Rauschen eines nahen Ozeans in einer wichtigen Unterhaltung gestört zu werden?
Eine Vielzahl Maahkwissenschaftler taten solche Äußerlichkeiten mit einer einzigen Feststellung ab: Die spinnen, die Terraner! Er selbst hatte bis vor einem Jahrzehnt ähnlich argumentiert. Unsere Lebensbedingungen sind grundverschieden, dachte Grek. Eigentlich könnten wir nebeneinander .leben, ohne dass einer dem anderen je zu nahe kommt. An den genauen Wortlaut entsann er sich nicht mehr, aber ungefähr so hatte er seine Ablehnung ausgesprochen, als
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